86 2. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Völkerrecht.
keine Ungewißheit über die Absichten des Gegners oder die
Eröffnung des Krieges zulassen. 1)
2. Die Kriegserklärung muß jedem Angriff von irgend
einer Seite vorausgehen, d. h. sie darf nicht gleichzeitig oder
erst nach begonnenen Feindseligleiten erfolgen. Wird sie erst
nach stattgehabten Feindseligkeiten abgegeben, so hat sie über-
haupt keine rechtliche Wirktung, denn der Kriegszustand ist in
einem solchen Falle bereits durch den ersten Feindseligkeitsakt
geschaffen. .
Auf der Session des Institut de droit international in Gent
1906 hatte Renault in seinem erwähnten Bericht darauf hinge-
wiesen, daß eine Frist als die notwendige Folge einer vorherigen
Anzeige anzusehen sei. Wenn man von einer vorausgehenden
Kriegserklärung spreche, so müsse sie auch der Eröffnung der
Feindseligkc#iten tatsächlich vorangehen. Es müsse also ein be-
stimmte- Zeitraum zwischen dem Moment liegen, in welchem
die Kriegserklärung abgegeben wird, und dem Augen-
blick, wvo man die Feindseligkeiten beginne. Nur in
diesem Sinnne sei das Wort „préalable“ zu verstehen.
Das bloße „préalable“ ohne Fristbestimmung schütze nicht vor
unerwarteten Angriffen, wenn man die Worte in ihrem buch-
stäblichen Sinne nehme; denn es könnten nur wenige Augen-
blicke der Eröffnung der Feindseligkeiten vorausgehen, die für
den Angegriffenen von keinem Nutzen seien.
Die Versammlung sprach sich schließlich zu Gunsten einer
solchen Frist aus und brachte diesen Gedanken auch in einer
Resolution zum Ausdruck: „Les hostilités ne pourront com-
mencer qu'’aprés Il’expiration d’un délai suffisant pour que
la régle de Vavertissement préalable et non Squivoque ne
puisse ötre considérée comme eludée.“
Das Problem einer Frist zwischen Erklärung und Beginn
der Feindseligkeiten war in der bisherigen Doktrin bereits ge-
stellt worden. Doch hat die Länge derselben erheblich ge-
schwankzt. Aberic GentilT) forderte eine solche von 30
Tagen, der Engländer Dudley-Fields) sogar einex solche
1) Bellat, S. 101, meint, eine bestimmte Formel hierfür sei vorzuziehen,
da bei dem jetzigen Stande der Dinge immerhin Mißverständnisse noch möglich seien.
2) De jure belll Ubri tres, II, c. 2.
) Outlines of an international code S. 470.