Full text: Deutsches Kolonialblatt. I. Jahrgang, 1890. (1)

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Differenzen nicht immer vermeiden zu können, zugenommen. Solche Wirkungen sich nicht bis 
auf die allgemeine Politik fortsetzen und diese dadurch gefährden zu lassen, mußte das vor— 
nehmste Ziel der Verhandlungen sein. Der Gedanke: um eines kolonialen Zwistes willen in 
letzter Instanz zum Zerwürfniß mit England gedrängt werden zu können, durfte keinen Naum 
gewinnen. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß unser kolonialer Besitz materiell bei weitem 
nicht werthvoll genug ist, um etwa gar die Nachtheile eines den beiderseitigen Wohlstand auf 
das Tiefste erschütternden Krieges aufzuwägen. Aber nicht bloß der Krieg mit den Waffen in 
der Hand mußte vermieden werden, auch die Verfeindung der Nationen, die Verbitterung der 
Stimmung in weiteren Interessentenkreisen, die diplomatische Fehde durften in unserem kolonialen 
Besitz keinen Boden finden. Wir wünschen dringend, die alten guten Beziehungen zu England 
auch auf die Zukunft zu übertragen. 
Wie weit Gemeinsamkeit der Interessen oder verbriefte Verträge im Stande sind, in 
unserer schnelllebenden Zeit die Politik der Staaten über allen Wechsel der Personen und der 
Verhältnisse fort auf längere Zeiträume fest zu binden, mag dahingestellt bleiben. Zweifellos 
aber wird das sicherste Mittel für ein freundschaftliches Einvernehmen zwischen zwei Staaten 
auf die Dauer darin gesucht werden können, daß man sich bestrebt, alle diejenigen Punkte zu 
finden und zu begleichen, welche, die Keime künftiger Verwickelungen in sich tragend, die Nationen 
mit der Zeit einander entfremden könnten. Je mehr die Politik mit nationalem Empfinden, 
mit gesteigertem Ehrgefühl der Völker zu rechnen hat, um so mehr muß sie danach trachten, 
schon früh die ersten Anfänge nationaler Verstimmungen zu entfernen. 
Aber auch von dem begrenzteren Standpunkt der gedeihlichen Entwickelung unserer 
eigenen überseeischen Politik wäre jede weiter greifende Differenz mit England tief zu be- 
klagen. Wir sind in unseren überseeischen Beziehungen vielfach auf das freundschaftliche Ver- 
halten der größeren, älteren Seemacht angewiesen. England gestattet unserer Marine überall. 
bereitwillig die Mitbenutzung seiner Häfen, Docks und anderen maritimen Anstalten; Handels- 
und Kriegsmarine beider Länder erfreuen sich gegenseitigen Wohlwolleus. 
Nicht in demselben Maße indeß war es überall geglückt, auch aus der kolonialen 
Politik beider Reiche unliebsame Difserenzen fern zu halten. Es waren hier und da Reibungen 
zwischen den beiderseitigen Gesellschaften und Organen, welche sich die Pflege kolonialer An- 
gelegenheiten und Interessen zur Aufgabe gemacht hatten, eingetreten. Diese sich in scheinbar 
unbegrenzten Räumen bewegenden und mit unbenannten Grüßen rechnenden, vielfach mehr an 
die Phantasie als an das Urtheil ihrer Landsleute appellirenden Gesellschaften und Organe 
verstanden es nicht selten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, und es konnte nicht aus- 
bleiben, daß dabei auch die Regierungen in eine gewisse Mitleidenschaft gezogen wurden. Die 
Konkurrenz und die Eifersucht der Kolonial-Interessenten brachten es mit sich, daß fortwährend 
Reklamationen wegen der wirklichen und vermeintlichen Uebergriffe der Einen gegen die Anderen 
erhoben wurden, und daß die Regierungen einen wesentlichen Theil ihrer internationaten Be- 
ziehungen in der Erledigung dieser Reklamationen erblicken mußten. Seit 1886 wurde über 
diese Ansprüche und Streitigkeiten der gegenseitigen Interessenten zwischen den Regierungen ver- 
handelt, im einzelnen Falle diese und jene Streitigkeit ausgeglichen oder vertagt, im Allgemeinen 
aber blieb als Ergebniß, daß eine völlige Begleichung nicht eingetreten war. Die Nothwendig- 
keit, diesem Zustande fortdauernder, das gute Einvernehmen beeinträchtigender Zwistigkeiten ein 
Ende zu machen, war der deutschen wie der englischen Regierung zum Bewußtsein gekommen. 
Anfangs dieses Frühjahrs hatten sich deshalb beide Regierungen verständigt, sämmtliche strittige 
Fragen durch Delegirte einer genauen Prüfung zu unterziehen und dabei zu versuchen, inwie- 
weit sich auf Grund dieser mündlichen Erörterungen eine Einigung erreichen lassen werde. 
Am 3. Mai d. J. traf zu diesem Behuf Sir Percy Anderson in Berlin ein und 
ging mit dem Geheimen Legations-Rath I#r. Kraucl in mehrfachen Verathungen die sämmt- 
lichen afrikanischen Streitpunkte durch. Es stellte sich dabei bald heraus, daß diese Detail-
	        
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