wir gerade um ein Jahr zurück, so sehen wir die Grenzen unserer afrikanischen Schutzgebiete
nach allen Richtungen angezweifelt, noch waren die Sphären unserer Interessen angesochten,
noch sehlte dem deutschen Wettbewerb die sichere Grundlage, welche die Vorbedingung eines
krastvollen und zielbewußten Vorgeheus bildet. Unvermischt lag noch in Ost-Afrika die Gewalt
des Sulians von Sansibar im Streit mit den Rechten der deutschen Gesellschaft und mit den
Befugnissen der vom Reich mit der Wied erherstellung von Ruhe und Sicherheit beauftragten
Organe. Das Abkommen mit England vom 1. Juli v. J. hat uns in Afrika einen unbe-
strittenen Rechts und Machtboden geschaffen 14 damit der deutschen Betriebsamlkeit auf
Geschlechter hinaus die Wege geebnel. Die Siege des Majors v. Wissmann und seiner
tapseren deutschen Genossen haben den Ausstand, der gegen Christenthum und deutsche Kultur
begonnen wurde, wie wir hoffen dürfen, endgiltig niedergeschlagen. In Gemeinschaft, und wie
wir nicht ohne berechtiglen Stolz sagen lönnen, in erster Linic, hat das Deutsche Reich mit
den zu Brüssel vereinigten Mächten das Wert der Belämpfung der Sklaverei in ernsten Angriff
genommen.
Aus diesen Grundlagen hat die Kaiserliche Regierung an die innere Festigung unserer
Schutgebiete Hand aulegen lönnen: sie bezeugte ihr Interesse zunächst dadurch, daß sie die
Bearbeitung der Koloni iten einer besonderen, dem Reichskanzler un—
mittelbar unterstellten Abtheimg des Aus swärtigen Amtes übertrug. Es gelang uns, gegen
eine mäßige Abfindung des Sultans von Sansibar das ostafritanische Küstengebiet zur un—
mittelbaren Kernkolonie zu machen und gleichzeitig der deutsch oslafrikanischen Gesellschaft
reiche Mittel zur Erschließung des Landes zuzuführen — und alles dies, ohne das Reich zu
belasten. Der Kriegszustand ist beendet: der kriegerische und siegreiche Reichskommissar ist von
einem friedlichen Gonverncur abgelöst worden, der in Gemeinschaft mit den um die Erschließung
und Erwerbung Afrikas verdienten Männern nunmehr begonnen hat, die Segnungen einer
friedlichen Entwickelung anzubahnen. .
Unsere Schutzgebiete in West-Afrika besinden sich in gedeihlichem Fortschreiten. Wenn
auch die Verwaltung des Togo Gebieres mit allzu geringen Einnahmen zu kämpfen hat, so
dürsen wir doch nach den letzten Berichten und in Rücksicht auf die durch das Ablommen mit
England erworbenen besseren Grenzen hossen, daß allmählich ein reicherer Ertrag der Zölle
sich ergeben wird.
Die Verhältnisse im Schutzgebiet von Kamerun sind erst in jüngster Zeit vor voller
Oessentlichkeit so genau behandelt worden, daß ich auf ein näheres Eingehen verzichten kann.
Die Befürchtungen, daß das Aufblühen dieser Kolonie durch eine Absperrung und Abtrennung
des Hinterlandes verhindert werden lönnte, dürfen danl des vom Neichstage bewilligten Vor-
schusses soweit als gehoben betrachtet werden, daß unnmehr der Entfaltung einer kräftigen
Thätigleit freier Spielraum gegeben ist. In der Bewilligung jenes Vorschusses darf der Aus-
druck des Vertrauens erblickt werden, daß sich Gesittung, Handel und Vertehr in dem bis-
herigen Umfange weiter entwickeln werden. Weniger günstig liegen z. Z. noch die Verhältnisse
in unserer südwestafrikanischen Kolonie, die bisher mehr wie jede andere das Bild von der
afrikanischen Sphinx zur Wahrheit machte. Aber auch hier öffnct sich ein Blick in eine
frohere Zulunft. Die letzten Nachrichten gesiatten die Hoffnung, daß eine neuc kapitalkräftige
Gesellschaft zu Stande kommt, welche auch der südwestafrilanischen Kolonial-Gesellschaft neue
erhebliche Mittel zuführen soll. Ist dieses geschehen, dann wird uns auch die Möglichleit ge-
geben werden, die Ordnung im Lande herzustellen und wirlsam den Versuch zu unternehmen,
wic weit die Kolonie nutzbar gemacht werden lann. Von unseren Schutzgebieten der Südse#
befinden sich die Marschall-Inseln in einem sietigen, wenn auch langsamen Vorwärtsschreiten,
während das große Gebict von Neu-Guinea und dem Vismarck-Archipel bisher, trotz günstiger Vor
bedingungen, noch nicht im Stande war, die Opser wett zu machen, welche in voller Hingebung
an die Kolonialsache an Gut und Menscheuleben gebracht worden sind. Alles, was das
deutsche Volk errungen hal, hat es in schwerer Arbeit und Selbswerleugnung erwerben müssen,
um so hartnäckiger verfolgt es sein Ziel und um so zäher hält es an seinen Errungen-
schaften fest.
Betrachten wir die wenigen Jahrc, seit denen das Deutsche Reich in die Kolonial=
politil eingetreten ist, und die Verhältnisse, unter denen dies geschah, so glaube ich, daß wir
getrosten Muthes in die Zukunft blicken können.
Wir danlen die Erfolge, welche wir erreicht haben, dem wieder erstarkten National=
gesühl, der Hingebung patriotischer Männer, dem kühnen Unternehmungsgeist deutscher Kauf
herreu, dem Glaubenseiser der christlichen Sendboten, ohne welche Elemente heut zu Tage