Der gegenwärtige Sland der evangelischen Deiden-
mission.
In einem auf der letzten Preußischen
Generalsynode gehaltenen Vortrage hat Dr.
Warneck den gegenwärtigen Stand der Heiden-
mission einer Besprechung unterzogen und dabei
auf die vielfachen falschen Beurtheilungen hin-
gewiesen, welchen die evangelische Mission in-
solge von Unkenntniß des Umfanges und der
Bedeutung ihrer Leistungen ausgesetzt gewesen
ist. Er hat in diesem Vortrage manche lehr-
reichen Daten mitgetheilt. Zur Ergänzung der
auf S. 89 des v. Jahrg. auf Grund der
Allgemeinen Missionszeitschrift gegebenen Mit
theilungen entnehmen wir der Rede das Fol-
gende:
„Wie hoch belaufen sich die Einnahmen
der rvangelischen Mission? Von etwa 200 000
Mark am Ende des vorigen Jahrhunderts sind
sic 1890 bis auf mehr als 10 Millionen jähr-
lich gestiegen. Der Löwenantheil an dieser
Summe kommt auf die prolestantischen Kirchen
englischer Zunge, nämlich auf Greßbritannien
mit seinen Kolonien reichlich 22, auf Nord-
amerika 13½ Millionen, während auf den
curopäischen Kontinent lnapp fünf Millionen
lommen, davon auf Deutschland und die
Schweiz etwa drei Millionen Mark. Unsere
(die deutschen) finanziellen Missionsleistungen
stehen also im Verhältniß zur Ziffer der evan-
gelischen Bevölkerung gegen die unserer engli-
schen und amerikanischen Glaubensgenossen be-
trächtlich zurück. Diese für uns nicht schmeichel-
haste Thatsache wird allerdings dadurch einiger-
maßen ausgeglichen, daß die deutsche Mission
billiger arbeitet als die englische, und daß die
deutsche Missionsarbeit im Ganzen auch eine
solidere ist als die englische; aber sie wird
dadurch nicht aus der Welt geschafft. Auch der
Hinweis darauf entlastet uns nicht, daß Groß-
britannien ein Kolonialland par excellence
sei und daß es, wie Nordamerika, einen viel
größeren Nationalreichthum besitze als Deutsch-
land. Beides ist wahr: aber für sich allein
erklärt es keineswegs die größere finanzielle
Missionsleistung. Holland ist gleichsalls seit
Jahrhunderlen ein Kolonialland, und zwar ein
reiches Kolonialland, aber seine Missions-
leistungen stehen auf einer verhältuißmäßig
tiesen Stuse. In unserem Vaterlande haben
wir eine mächtige Kolonialbegeisterung erlebt,
aber bis heute ist diese Kolonialbegeisterung
arm an Missionsleistungen geblieben. Wohl hat
die Kolonialpolitil eine Wandlung der öffent-
lichen Meinung bezüglich der Mission insofern
bei uns gewirkt, als wenigstens ihr civilisato-
rischer Werth zur Anerkennung gekommen ist
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und man sehr freigebig mit Rathschlägen ge-
wesen ist über den Betrieb der Mission; aber
die Rathschläge, die man uns gegeben, können
wir meist nicht brauchen, weil sie auf einem
Mangel an Keuntniß und Verständniß der
Mission beruhen, und was wir brauchen können:
erhebliche Geldleisuungen, die hat man uns
nicht gegeben. Gewiß wird je länger je mehr
unsere Kolonialpolitik auch unserer Mission zu
gute kommen dadurch, daß sie durch die Weckung
eines übersceischen Sinnes auch ein gewisses
Verständniß für die Mission vermittelt; aber
um eine Missionsbewegung im großen Siil
hervorzubringen, dazu gehören andere, inner-
lichere, religiöse Motive.
Es verhält sich ganz ähnlich mit dem
Nationalreichthum: in ihm sür sich allein liegt
kein Trieb zu einem Missionsopfersinn. Es
wird in England und Amerika mehr für die
Mission gegeben nicht bloß darum, weil man
reicher ist, sondern weil ein kräftigerer religiöser
Opsersinn da ist. Es ist auch bei unseren eng-
lischen Glaubensgenossen nicht so, daß die
Reichen die Hauptsumme beitragen; allerdings
giebt es in England und Amerika mehr Reiche
als bei uns, die viel einlegen; aber ich kann
es slatistisch beweisen, daß auch dort die
mittleren und die unteren Stände die großen
Summen zusammenbringen. Der Unterschied ist
nur der, daß bei ihnen die Zahl der Geber
eine größere isl als bei uns, und daß im All-
gemeinen in einem nobleren Stile gegeben wird
als bei uns. Wir haben uns so sehr an einen
lleinlichen Stil im Geben für die großen gött-
lichen Reichszwecke gewöhnt, und diese Ge-
wöhnung wird auch noch genährt dadurch, daß
man für die verhällmißmäßig geringen Gaben
viel zu viel Lob spendet. Besonders unsere
wohlhabenden und reichen Kreise geben weder
im Verhältniß zur Größe ihres Vermögens,
noch im Verhältniß zur Größe der göttlichen
Reichsarbeit. So betheiligt sich z. B. unser
reicher Kaufmannsstand und speziell der über-
seeische Großhandel im ganzen nur mit super-
lativisch dürftigen Gaben an der Unterstützung
der Mission. Ein angesehener Kolonialökonom
hat erst vor kurzem erklärt: Durch die civili-
satorischen Erfolge, die die Mission in ihrem
Gesolge hat, sällt dem Großhandel ein unge-
heuerer materieller Gewinn zu. Amerikanische
und englische Kaufleute haben ausgerechuct, wie
viel Tausend Pfund Sterling ein einziger
Missionar dem Handel werth ist; diese Be-
rechnungen sind nicht nach meinem Geschmack,
aber sie haben ihre Richtigkcit.
Was leistet nun der durch die Generalsynode
vertretene Kirchenkreis für die Heidenmission?
Es ist nicht leicht gewesen, das Material für