Ueber seinen Marsch nach Kilimatinde und die Anlage
der dortigen Station
meldet Kompagnieführer Prince unter dem 27. Juni
Folgendes:
Es fehlte nur wenig und die Expedition der
3. und 4. Kompagnie erreichte Kilimatinde überhaupt
nicht wegen Hungersnoth, Ueberschwemmung und
Krankheit. Bis zur Ueberschreitung des Ruaha, eines
an der Uebergangsstelle mehrere Stunden breiten,
über mannstiefen, an vielen Stellen mit reißenden
Strömungen durchsetzten Sees, dessen Café-au- lait-
Fluthen sich über sumpfigem, zähschlickigem Unter-
grunde und verworrenem, versunkenem Busch und
Geäst hinwälzten, war die Lage sehr kritisch. Wäre
ein schneller Uebergang nicht möglich gewesen, so
hätte doch ein Fortmarsch von der Stelle wegen
Mangels an Lebensmitteln nach irgend einer Nichtung
hin stattfinden müssen, und die Frage war da —
wohin? Hinter uns oder auf Frommscher Spur
— das einzige bekannte Gelände — gab es ja doch
nichts mehr zu essen; im Uebrigen steckten wir aber
mitten drin in Uhehe — mehr als irgend ein anderer
Theil der Expedition —, ringsum und vor uns war
auf der Karte nur „.weißes Papier“ zu sehen; mit
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Sicherheit wußten wir nur, daß unser erstes Ziel
das sagenumwobene Konko sei. Aehnlich war die
Situation sast täglich, denn stets sperrten den Weg
reißende Strömec. Schlimm war es auch am Kisigo,
doch trat hier die Gefahr des Verhungerns vor den
kriegerischen Möglichkeiten noch mehr in den Vorder-
grund. Ohne den Umstand, daß unser ganzer Weg,
von Kuirenga bis Konko durch feindliches Wahehe-
gebiet führte und die absolut nöthige Negquisition
alles Eßbaren auch gestattete, wärc die Expedition
überhaupt nicht ausführbar gewesen.
Selbst so, und trotzdem stets nur Hungerrationen
zur Vertheilung gekommen waren, stand die Expe-
dition bei Ankunft in Kilimatinde so dicht am Ver-
hungern wie eben möglich. Am 11. Jannar hatte
ich nur noch Mtama genug, um Askaris, Träger,
Boys, Weiber u. s. w. bei einpfündiger Ration drei
Tage zu ernähren. Im Umkreise mehrerer Tage-
märsche war das ganze Land völlig baar an Lebens-
mitteln, die Bevölkerung auch durch den Schrecken
des Wahehekrieges theilweise demoralisirt; aus Kilima-
tinde und Muhalala waren schon Anfang November
1894 mehrere Hundert Menschen wegen Hungers und
Angst vor Wahehe fortgezogen.
Als Allererstes mußten Lebensmittel coute qui
coute herbeigeschafft werden und zwar durch Einkauf
eventuell Requisition aus entfernteren, reicheren
Gegenden.
Da die Einkäufer in Ussandaui und auf dem
Wege nach Irangi bei einem Theil der vorsünd-
fluthlichen Bevölkerung in Schwierigkeiten geriethen,
ging ich selbst nach ersterem Orte, nach wirksamem
Eingreisen Lientenant Engelhardt nach Frangi.
Eilboten waren schon vordem nach Tabora abge-
gangen, und nach meiner Rückkehr von Ussandani
knüpfte ich, da aus Tabora Klagen über Schwierig-
keit bei Träger= und Mtamabeschaffung einliefen,
private Verbindung mit dem dortigen Wali und dem
Indier Ismasl an. Um die Sendung zu beschleu-
nigen, schickte ich Lieulenant Charisius dahin, der
auch gesundheitshalber besserer Unterkunft bedurfte,
als Kilimatinde bieten konnte. Die trotz meincs
Voranschlages von 10 Rupien pro Last loco Kilima-
tinde unverschämt werdenden Preise wurden schließ-
lich auf 12 Rupien Mtama, etwa 15 Rupien Reis
herabgedrückt. Wegen der theueren Preise mußte ich
die gemachte Bestellung auf die Hälfte reduziren,
was leicht anging, da sowohl Araber wie Inder ihre
„Kontrakte“ zeitlich nicht erfüllt hatten.
Auf diese Weise waren wir von Mitte Februar
an hinreichend mit Lebensmitteln versehen, die an
sich sehr theuer, aber relativ — z. B. im Verhältniß
zu Mpapua — billig waren. Ohne dies wäre ich
gezwungen gewesen, alle ankommenden bezw. passiren-
den Regierungskarawanen, die ja stets futterlos
waren, unversorgt sort= bezw. weiterzuschicken, was
jedenfalls noch erheblich mehr gekostet hätte.
Nun konnte ich mich erst dem Nächstwichtigen,
der Beschaffung von Unterkunst, zuwenden, was
mittlerweile dringend nothwendig geworden war.
Fortwährend strömte wolkenbruchartiger Regen her-
unter; die den Askaris u. s. w. gewährten Zelte ver-
faulten im sumpfigwerdenden Boden; Krankheiten in
allen Formen grassirten. Den Mitgliedern der Expe-
dition war es hoch anzurechnen, daß trotz des Elends
guter Muth, gute Gesinnung und stramme Manns-
zucht im Uebrigen herrschte.
Aber jetzt, nachdem für das Erste die schlimmste
Gefahr, durch Hunger Fiasko zu erleiden, beseitigt
war, jetztt wurde das Verlangen nach halbwegs
menschenwürdiger Unterlunft laut.
Beim besten Willen konnte jedoch an einen
schnellen Aufbau von Hütten und dergleichen nicht
gedacht werden: denn rings im ganzen Lande gab
es zur Zeit weder Gras noch Stroh. Wellblech war
ja von der Küste viel abgeschickt worden, aber nur
wenig angekommen; das Wenige reichte nur aus, die
Stoffe und das Büreauwesen vor Regen zu schützen.
Tembenbau verbot sich troß eines geringen Gras-
bedarfs wegen der Schwierigkeit, die nöthigen Holz-
mengen schnell zu beschaffen, von selbst. Es blieb
als einziges Baumaterial Stein. Und wenn auch
davon unbegrenzte Quantitäten bequem zur Hand
lagen, so stellte sich doch bald heraus, daß bei der
außerordentlichen Stärke dieses Granits und dem
Mangel an geeigneten Hämmern auch hiermit nicht
rasch gebaut werden könnte. Trotzdem und trotz der
Thatsache, daß selbst bei nur 40 cm Dicke langsam
gebaut werden mußte, da das Gemäuer in der seuchten
Regenzeit nur langsam austrocknete, blieb Stein das
aussichtsreichste Material.
Ich beschloß daher, zunächst eine vorläufige Station
aus Stein zu bauen.