Full text: Deutsches Kolonialblatt. IX. Jahrgang, 1898. (9)

Telegraphenbeamten, Forstbeamten und Verkehrs- 
beamten auszubilden. Sie ist Staatsanstalt und 
wird vom India Oltice unterhalten. Da der 
englische Staat im Allgemeinen sich nicht für ver- 
pflichtet hält, für die Ausbildung seiner Beamten 
zu sorgen, so verdient dieser Umstand besonders 
hervorgehoben zu werden, weil er zeigt, welchen 
Werth man gerade der geeigneten Vorbildung für 
den Kolonialdienst beilegt. Die Schule deckte früher 
den größten Theil des Bedarfs an technischem 
Beamten für Indien und sandte jährlich zwischen 
40 und 50 Bewerber aus. Jetzt ist der Besuch 
der Anstalt nur noch für die Forstbeamten obliga- 
torisch, welche nur aus ihr hervorgehen können. 
Der Bestand der übrigen Beamten ergänzt sich aus 
verschiedenen Quellen, das India Oflice entnimmt 
aber jährlich eine bestimmte Anzahl Techniker aus 
den Reihen der Schüler, welche sich zu diesem 
Zwecke einer Wettbewerbsprüfung unterwersen. Ein 
bedeutender Bruchtheil der Schüler verfolgt später 
inländische Laufbahnen. 
Die Anstalt ist im Allgemeinen auf der Grund- 
lage der Colleges an den Universitäten Orford 
und Cambridge aufgebaut. Hier wie dort wohnen 
die Schüler in der Anstalt, stehen gruppenweise 
unter der Aussicht von Lehrern und widmen einen 
für unsere Begriffe ungemein großen Theil ihrer 
Zeit dem Sport. Die Aufnahme wird von einer 
Prüfung abhängig gemacht, welche sich auf Elementar= 
fächer, besonders aber elementare Mathematik, erstreckt. 
Der Kursus ist für alle Fächer, mit Ausnahme des 
Telegraphenfaches, dreijährig, für das letztere zwei- 
jährig. Am Ende desselben werden Prüfungen ab- 
gehalten auf Grund deren Diplome ertheilt werden. 
An die für den indischen Staatsdienst auszuwählenden 
Bewerber werden außer dem Bestehen dieser Prü- 
fungen vor Allem auch sehr strenge gesundheitliche 
Forderungen gestellt. Ferner dürfen sie eine be- 
stimmte Altersgrenze nicht überschritten haben (sie 
dürsen beim Eintritt in die Anstalt nicht unter 
17 Jahre und nicht über 21 Jahre sein) und 
müssen einige körperliche Fertigkeiten (Reiten, Ge- 
brauch von Waffen, Turnen, militärisches Exerziren 2c.) 
nachweisen. 
Was das Lehrprogramm der Anstalt anbetrifft, 
so übernimmt sie es, ihre Schüler, welche ohne fach- 
liche Vorkenntnisse eintreten, von Grund auf aus- 
zubilden, legt jedoch weniger Gewicht auf theoretische 
als auf angewandte Wissenschaft. 
Beim Vortrag des Lehrstoffses werden immer 
die für Indien vorliegenden besonderen Verhältnisse 
in Betracht gezogen. So in der Baumaterialien- 
lehre, der Baukonstruktion 2c. Einzelne Abtheilungen 
beziehen sich ganz auf Indien, wie z. B. die Vor- 
lesungen über indische Bewässerungswerke, die über 
Geschäftsführung in der indischen Bauverwaltung 2c. 
Mit der Anstalt sind Werlstätten verknüpft, in 
welchen an einem oder mehreren Nachmittagen in 
der Woche dem Schüler Gelegenheit gegeben wird, 
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sich einige Uebung in der Handhabung der Werk- 
zeuge des Schmiedes, Mechanikers 2c. anzueignen; 
zwei Stunden in jeder zweiten Woche sind obliga- 
torisch. Chemische und physikalische Laboratorien 
sind gleichfalls vorhanden und mit 2¾ Stunden in 
der Woche obligatorisch. In einem mechanischen 
Laboratorium werden im dritten Ausbildungsjahre 
die Schüler im Prüfen von Baumaterialien, ganz 
besonders in Festigkeitsuntersuchungen von Metallen, 
unterrichtet. 
Gerade in Bezug auf den letzteren Punkt, die 
praktische Beschäftigung der Schüler, bleibt die An- 
stalt indessen hinter dem zurück, was man in Eng- 
land von ihr voraussetzen sollte und was thatsächlich 
andere Ingenieurschulen bieten. Denn gerade der 
Beschäftigung in den Werkstätten wird in England 
durchgehend große Aufmerksamkeit zugewendet. 
Wie in Deutschland die Ingenieurwissenschaften 
sich mehr aus den rein wissenschaftlichen Fächern 
heraus entwickelt haben, so ist die englische Ingenieur- 
wissenschaft durchaus aus der Praxis hervorgegangen, 
und dieser Umstand prägt sich heute noch darin aus, 
daß in England die Werkstätten einen wesentlichen 
Bestandtheil der Ingenieurschulen ausmachen, wie 
der Unterricht in denselben als für den Ingenieur 
unerläßlich betrachtet wird. Eine der ältesten 
Ingenieurschulen in England, Kings College, hat 
mit ihren ausgedehnten Werkstätten das Beispiel für 
alle in der Folge gegründeten Anstalten gegeben. 
Kings College hat nicht nur Werkstätten für 
Ingenieure, wo Tischlerei, Schmiede= und Mechaniker- 
arbeit, ferner Maschinenbau und die Arbeit an 
allerhand Holz= und Metallbearbeitungsmaschinen 
gelehrt wird, sordern sogar Werkstätten für Archtekten, 
in welchen die Zöglinge im Mauern, in Steinmetz- 
und Klempnerarbeit unterrichtet werden. Lehr- 
versuchsanstalten für Baumaterialienprüfung fehlen 
nicht. 
Im Lehrplan dieser Anstalt nimmt der Werk- 
stättenunterricht in den ersten beiden Unterrichts- 
jahren für alle Schüler wöchentlich 3½ Stunden 
ein, im dritten Jahr, wo sich der Unterricht in 
Sonderkurse für Maschinenbauer, Bauingenieure, 
Elektriker und Architekten scheidet, sind sogar acht 
bis zehn Stunden für die praktische Beschäftigung 
in den Werkstätten, Laboratorien und Versuchsan- 
stalten angesetzt. Aehnlich liegen die Verhältnisse in 
der unter Leitung des Professors W. C. Unwin 
stehenden Ingenieurabtheilung des Central Technical 
College des Cit and Guild of London Institute 
in Sonth Kensington. Diese Anstalt hat im Unter- 
geschoß geräumige und vorzüglich ausgestattete Werk- 
stätten und Versuchsanstalten für den praktischen 
Unterricht, an welchem alle Schüler obligatorisch 
Theil zu nehmen haben. 
Auch die aus den gewöhnlichen Ingenieurschulen 
hervorgehenden Ingenieure sind somit für einen 
Aufenthalt in den Kolonien, der bhatsächlich das 
Ziel eines großen Theils derselben bildet, ziemlich
	        
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