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Die Sultanin Khyawingi von Mpororo.
Schon durch Stanley, Emin Pascha und Stahl-
mann war die-Existenz einer gehelmnisvollen Sultanin
oder Zauberln Namens Nyawingi in Mpororo be-
kannt, ohne daß es diesen Relsenden oder später den
in Bukoba garnisonierenden Europäern gelungen war,
sie selbst zu Gesicht zu bekommen. In einzelnen
Fällen war Durchreisenden eine falsche welbliche
Person als Nyawingi gezelgt worden. Erst im
vorigen Jahre gelang es dem Stationschef von
Bukoba, Oberleutnant v. Stuemer, die Sultanin
selber zu sehen. Über diesen Besuch in dem Dorfe
Tungamu in Mpororo berichtet er folgendes:
Der Grund meines Besuches war, abgesehen von
dem Interesse, das ich an dem geheimnisvollen Wesen
hatte, vor allem der, daß sie einer von mir abge-
schickten Patrouille Wegezoll auferlegt hatte, und daß
der ungeschickte Führer der Patrouille ihren Forde-
rungen entsprochen hatte. Sie auf das Ungehörlge
ihres Betragens hinzuweisen, war meine Aufgabe.
Bel dem Nahen der Exvpeditlon ertönte aus
dem kleinen Dorf Trommelklang; ich ritt an den
Eingang des Dorfes heran und aus dem hinteren
Abschnitt ous den Häusern hervor erschienen dret
kleine Jungen, die Trommeln umgehängt hatten und
sie fortgesetzt schlugen. Ihnen folgte ein altes Weib
mit sonderbarem Aufputz um den Hals und auf dem
Kopf Perlenketten von roten, weißen und blauen
Perlen, wie sie die Araber ins Land brachten, be-
kleidet mit einem in Fett getränkten Fell; in der
linken Hand trug sie drei kleine Speere und in der
rechten einen etwa 30 cm langen, perlenumwundenen
Zauberstab. Die Jungen trommeln, die Alte bewegt
sich im Tanzschritt, sich hin= und herdrehend, dabei
schrecklich singend und die Augen verdrehend, gleich
wie im Rausch auf mich zu. Auf mein Geheiß hört
man mit dem Trommeln auf, und als ich durch
den Dolmetscher nach Nyawingl fragen losse, erhalte
ich zur Antwort, die große Sultanm Nyawingi sei
da und auch willens, mich zu empfangen. Ich sage
darauf, ich würde jetzt ins Lager gehen und ihr
dann sagen lossen, wann ich zu ihr käme. Die Alte,
die sich als Dienerin der Nyawingi selbst bezeichnet,
folgt der Karawane singend und ihre Speere und
den Zauberstab schwingend auf die Höhe über dem
orf, wo ich mein Lager aufschlagen will. Mit
wunderbaren Gesten bespricht sie den Platz; als ich
e wegjagen will und mich erkundige, was der
Hokuspokus bedeuten soll, läßt sie mir unter
Grinsen sagen, sie weihe den Platz, damit die Expe-
ditlon und vor allem der Bwana Mkuba, d. h. großer
Herr, Glück und Gesundheit behalte. Schließlich
schenke ich ihr einen klelnen Spiegel für ihre Freund-
lichkeit, und damit entfernt sie sich umgehend, tanzend
und taumelnd, und noch aus dem Dorf heraus hört
man ihr klagendes Singen. Bald darauf schccke ich
binunter, um sagen zu lassen, daß ich nun käme.
Ich gehe mit melnem schwarzen Feldwebel und dem
Dolmetscher zum Dorf und werde sofort von auf-
passenden Leuten bemerkt und sehe, wie es im ganzen
Dorfe wimmelt. Bel meinem Nahen ertönt auch
sofort wieder das Trommeln, und die tanzende Alte
erscheint. "
Das Dorf ist in verschiedene Höfe eingeteilt, die
durch Zäune voneinander getrennt sind und nur ganz
enge Türen haben. Nachdem ich den ersten Hof
durchschritten hatte und durch die Tür des zweiten
Zaunes mich durchgezwängt, stehe ich vor einer Hütte,
die besser gebaut scheint als die andern und mir
als die der Sultanin bezeichnet wird. Sie ist eine
Grashütte in der üblichen Bienenkorbform mit sehr
kleinem Eingang, der aber sauber aus Schilfrohr
geflochten und mit Kuhdung verschmiert ist. Das
Innere der Hütte zeigt, nachdem ich mich an das
Dunkel gewöhnt hatte, den gewohnten Bau. Schilf-
gestell verräuchert, die Wand ringsherum in etwa
1½ m vom Boden aus ebenfalls mit Kuhdung ver-
strichen, am oberen Rande einfache Verzlerungen mit
den Fingern geformt. Der Fußboden ist mit Gras
bestreut, im der Mitte sieht man die Feuerstelle, doch
ohne Glut. Rechts vom Eingang in Mannshhe,
so daß man nicht hinübersehen kann, eine geflochtene
und mit Kuhdung beschmierte Scheidewand, in deren
Mitte eine Türöffnung, die jedoch mit einer Snoh-
matte, welche schwarze einfache Flguren zeigt, ver-
hängt ist. An der Wand über dieser Hürde wie
über der Mattenöffnung hüngen allerlei Kürbisflaschen,
Kräuterbündel, Wildhörner, alles Zaubermittel der
gefürchteten Nyawingi. Hinter der geheimnisvollen
Wand soll sie sein.
Nach meinem Eintritt, nachdem ich mir meinen
kleinen Feldstuhl hatte kommen lassen, auf den ich
mich vor der Wand niederließ, fragt die Nyawing
ihren Katikiro, d. h. Minister, ob ich da sei und wer
ich sei. Mein Dolmetscher übersetzte mir das sofort.
Ste spricht in hohem kreischenden Tone, der all-
mählich leiser wird und schließlich in Fistelton über-
geht. Ich sege ihr nun sofort, woher und weswegen
ich käme und erkläre ihr, daß ich nicht gewohnt sei,
mit Unsichtbaren zu verhandeln. Sie solle hervor-
kommen, damit wir unsere Angelegenheiten Auge in
Auge besprechen können. Sie sagt darauf, ich solle
alles hinausschicken, erst dann würde sie sich zeigen.
Als ich ihr dann erkläre, daß ich das wohl tun
würde, aber da sie mich nicht verstehen könnte, müßte
wenigstens der Dolmetscher bleiben; da erklärt sie,
wenn eln farbiger Mann sie sehe, müsse er sterben.
Ich antworte ihr dann, so wollten wir unsere An-
gelegenheiten jetzt besprechen und dann werde ich die
Leute hinausschicken, damit sie erscheinen könne. Auf
mein Befragen gibt sie nun an, Nyawingl sei sie
und ein Geist, die Tochter des Sonnengottes Kasoba,
ihr Wohnsitz sei in den Wolken, aber sie käme zur
Erde und könne Überall hingehen, wohin sie wolle;
im Augenblick sei sie hier, aber im selben Augenblick
werde sie in Bukoba sein; menschliche Eltern habe
sie nicht, sie stürbe auch nicht, auf der Erde müsse
sie allerdings auch Nahrung zu sich nehmen, dann
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