Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVI. Jahrgang, 1905. (16)

her zu gehen und lassen sich durch kelne breite Straße 
von diesem Brauche abbringen. 
In Deutschland hat sich mancherorts die schöne 
Sitte erhalten, Kruzifixe und Helligenbilder an den 
Wegen aufzustellen. Auch bei den Schwarzen besteht 
ein ähnlicher Brauch. Sie wählen zu diesem Zwecke 
niedrige Bäume aus, in deren Gezweig sie lleine 
Muscheln (die hier als Münze dienen) sowie 
Kleldungsstücke aufhängen. Der Boden unter dem 
Geisterbaum ist mit feinem Grase gepolstert. 
Der Pater, welcher einige Tage zuvor eine kleine 
Forschungsreise nach Ihangiro unternommen hatte, 
hatte mir eine geeignete Stelle zur Gründung einer 
Statlon bezeichnet, nahe bei einem großen Baum in 
der Nähe des Dorses Rubian, etwa 2½ Stunden 
landeinwärts. Zur Wahl dieser Stelle hatten ihn 
folgende Umstände veranlaßt: Dichte Bevölkerung, 
fruchtbarer Boden, reichliches, gutes Trinkwasser in 
der Nähe, ein Fluß, an dessen Ufer höchst wahr- 
scheinlich brauchbarer Lehm für Backsteine und Ziegel 
zu finden war, und nicht zuletzt eine gesunde, schöne 
Lage. 
An der uns angewiesenen Stelle angekommen, 
schlagen wir im Grase unsere Zelte auf. Kein 
lebendes Wesen läßt sich blicken. Wir gehen zum 
Dorfe — alles ausgeflogen; höchstens hier und da 
eine alte Negerin, die an dem Ausfluge eben nicht 
teilnehmen konnte. Um 6 Uhr geht die Sonne 
unter, und jetzt kommt Leben in die Grasfläche. Es 
ist, als hätte die Hölle alle Moskito-Regimenter des 
Erdballes aufgeboten, um uns aus dem Land hinaus- 
zustechen. Zum Glück sind wir auf diesen Besuch 
gefaßt und können unter dem sicheren Moskitonetz 
hohnlächelnd dieser Armee von Plagegeistern zuhören, 
wie sie mit unheimlicher Kriegsmusik eine Attacke 
nach der anderen gegen uns ausführt. Tagsliber 
lassen sich diese Tierchen kaum blicken. Aber in den 
stillen Tropennächten, wenn die müden Glieder nach 
erquickendem Schlaf sich sehnen, vollführen die Stech- 
mückenschwärme ihr widerliches Konzert und über- 
fallen den Armen, der sich ruhelos auf seinem Lager 
wälzt. " «- 
Der folgende Tag brachte uns gerade so wenig 
Besuch als der erste. So ging es weiter, bis 
Leutnant Godovins von der Militärstation Bukoba 
eintraf. Dieser Herr ließ den Sultan Nyambamba 
zu sich kommen. Nyambamba hätte sich nur unsert- 
wegen, die wir weder Gewehre noch Soldaten zur 
Versügung hatten, nicht gerührt, jetzt aber war er 
schon am Tage darauf mit großem Gefolge zur Stelle. 
Es wurde vereinbart, wir sollten ein Grundstück er- 
halten, die Leute aus den umliegenden Dörfern 
würden dann gegen Bezahlung bel uns arbeiten, 
und der Katiliro (erste Beamte) des Sultans sollte 
noch einige Tage dablelben, um die Arbeiten in 
Gang zu bringen. Nun wurde der Vertrag zu 
Papier gebracht und das Grundstück abgesteckt, 
worauf die Herren den Heimweg antraten. Der 
Katiktro entledigte sich seines Auftrages aufs beste. 
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Mit einem Schlage änderte sich jetzt die Sachlage. 
In den Dörfern, die eben noch verlassen und wie 
ausgestorben schienen, herrschte frisches Leben, und 
vom frühen Morgen an waren die Schwarzen auf 
den Beinen, um uns ihre Dienste anzubieten. 
Wir drei Missionäre leben jeder in selner eigenen 
Hütte, die aus zwei Näumen besteht; eine weitere 
Strohhütte dient als Kapelle, eine andere als Speise- 
saal, als Magazin usw., an Häusern ist also kein 
Mangel! Die ganze Station ist von elner lebenden, 
dicht verflochtenen Dornhecke umfriedigt. Eine 
unserer ersten Aufgaben war es, nützliche Baumarten 
anzupflanzen. So wurden einige tausend Eukalyptus 
(australischer Fieberbaum) und noch mehr Nsambla- 
bäume gesetzt. Das nahgelegene Marienberg hat 
uns einige hundert Kaffeesträucher und achtzig Obst- 
bäume (Zlitronen= und Orangenbäume) zur Ver- 
fügung gestellt, so daß in ein paar Jahren, so Gott 
will, für reiche Erträge an Kassee und Obst ge- 
sorgt ist. 
So war für den materiellen Bestand der Missions- 
station gesorgt. Unterdes haben wir auch eline Schule 
eröffnet. Damit hatte es wieder selnen Haken, denn 
als die Schule stand, waren keine Schüler zu finden. 
Die Kinder wären wohl gekommen, aber die Eltern 
hielten sie zurück, aus lauter Furcht vor dem Könige. 
Nur, um bei uns zu arbeiten, durften sie kommen. 
Das Ideal der Negerburschen, die sich bel uns Arbeit 
suchen, besteht in einer — Hose. Einige haben sich 
diesen Luxusartikel schon mit Sandtragen, Wasser- 
holen usw. verdient. Haben sie ein Stück Kattun 
ausbezahlt erhalten, so geht's gleich zu einem schwarzen 
„Schneider“, der es zu den gewünschten „Unaus- 
sprechlichen“ zusammennäht. Es ist köstlich anzusehen, 
wie sie dann, stolz wie ein Pfau, in dem genannten 
Kleidungsstück daherstolzieren. Ein deutsches Bauern- 
mädchen, das am Ostertage zum ersten Male mit 
dem krausen, weißen Häubchen zur Kirche gehen darf, 
kann nicht glücklicher sein. Natürlich wird das sauer 
erworbene Gewand mit gebührender Sorgfalt be- 
wahrt. Sie tragen ihre Hose nur, wenn sie auf 
Reisen gehen oder Besuche machen, nie bei der Arbeit. 
Ausnahmsweise sah ich kürzlich einen, der zur Arbeit 
in seiner neuen Hose erschienen war. Zur Ehre der 
Wahrheit aber sei bemerkt, daß unser Schwarzer bei 
seiner Ankunft sofort das kostbare Prachtgewand 
auszog und es vorsichtlg in ein Stück Baumrinde 
wickelte. Sein Arbeitsanzug war ein Gurt aus 
Bast, und erst als Feierabend gemacht wurde, zog 
er seine Hose aus dem Versteck hervor und stolzlerte 
wieder darin einher. 
Um diese großen Kinder zu unterhalten, führt 
ihnen der Missionär eine Spieldose, Bilder usw. 
vor. Elnmal zeigte ich ihnen meine eigene Photo- 
graphie. Es war ein Brustbild. Die Schwarzen 
fragten erstaunt, warum keine Beine daoran wären. 
Daß das Bild dunkel war, wo der Weiße doch eine 
helle (hier heißt es „rote"“) Hautfarbe hat, legen sie 
so aus, als habe er eben seine Farbe verändert.
	        
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