Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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träge mit den Eingeborenen jagten einander. Von 
allen Seiten war man bemüht, sich „Interessen- 
sphären“ zu schaffen und sie zu festem Besitz um- 
zugestalten. Der Begriff des „Hinterlandes“ ge- 
wann eine ähnliche kolonialpolitische Bedentung 
wie einst jener der Strommündung und des 
Stromgebietes. 
England ist zuletzt in diese Bewegung ein- 
getreten; es hat trotzdem den Löwenanteil davon- 
getragen. Hilfsmittel und Erfahrung seiner 
Unternehmer, die älteren und umfassenderen Ver- 
bindungen und die zahlreichen festen Stützpunkte, 
die zur Verfügung standen, sicherten eine nicht 
leicht auszugleichende Uberlegenheit. Stärker 
und williger als irgendwo sonst stand hinter den 
Gesellschaften der Staat. An die Stelle der 
Kolonialflanheit trat rasch der „Imperialismus“, 
getragen von der Kraft des englischen Volks- 
willens. Ausschließlich konservative Ministerien 
mit Parlamentsmajoritäten und Amtsperioden, 
wie sie England bis dahin kaum erlebt hatte, 
haben in dieser Zeit an der Spitze der Geschäfte 
gestanden. Man fragte nicht mehr, ob die 
Annerion dieses oder jenes Gebietes Nutzen 
bringe. „Zum Vorteil oder Nachteil, ein Stolz 
oder eine Last für die kommenden Geschlechter, 
jetzt handelt es sich nur darum, die Hand auf 
den Boden zu legen, damit ihn nicht der Fremde 
besetzt.“ So faßte einer der gründlichsten Kenner 
des gegenwärtigen englischen Kolonialbesitzes, ein 
Mitglied des Kolonialamtes selbst, die Uber- 
zeugung zusammen, von der seine Regierung sich 
seit der Kongokonferenz hat leiten lassen. 
Es hat denn auch kaum anderthalb Jahr- 
zehnte gedauert, und Afrika war verteilt. Den 
alten Kolonien des Südens ist nicht nur fast 
alles Land bis zum Zambesi hinauf, sondern auch 
über diesen Fluß hinaus am Nyassa entlang bis 
zum Tanganjika und gegen die Quellen des 
Kongo hin ein Gebiet größer als Madagaskar 
angegliedert worden. Der Zambesi ist heute ein 
britischer Fluß. Über den wichtigsten Routen 
Livingstones weht Englands Flagge. Das Bet- 
schuanenland hat Großbritannien sofort nach der 
deutschen Besitzergreifung in Südwest okkupiert. 
Der Selbständigkeit der Burenstaaten, die durch 
die neuen englischen Erwerbungen fast ganz um- 
klammert wurden, und deren neu entdeckte Gold- 
felder das Unternehmertum mächtig anzogen, hat 
Englands Ubermacht in den Jahren 1899 bis 
1902 ein Ende gemacht. Dr. Jameson, dessen 
verwirktes Leben 1896 von der Regierung des 
Transvaalstaates erbeten werden mußte, ist heute 
Ministerpräsident der Kapkolonie. Innerhalb 
zweier Jahrzehnte ist der Umfang der süd- 
afrikanischen Besitzungen Englands auf nahezu 
das Vierfache ihres früheren Bestandes gewachsen. 
  
In der Betätigung englischen Unternehmersinns 
ist die Ara Livingstone von einer Ara Ceeil 
Rhodes abgelöst worden. 
Und noch größere Fortschritte hat die erste 
Kolonialmacht der Welt in allerjüngster Zeit im 
übrigen Afrika gemacht. Der Okkupation Agyptens 
wurde zunächst nur Wahrung englischer Unter- 
nehmerrechte und Sicherung des Suezkanals als 
Ziel gesteckt. Gegenüber der mohammedanischen 
Bewegung, die gleichzeitig der als Mahdi auf- 
tretende Dongolamann in den oberen und mittleren 
Nilgebieten entfachte, verhielt sich England kaum 
mehr als defensiv. Gordon fiel am 26. Jannar 
1885 bei der Verteidigung Kartums, weil die 
englische Hilfe lässig und unzureichend heranzog. 
Der Mahdi starb nicht lange nachher. Aber erst 
später, als die unter dem Propheten so mächtige 
Bewegung abflaute und immer siegreicher unter 
Lord Salisburys Führung die Auffassung durch- 
drang, daß es richtig sei, so viel wie möglich von 
Afrika zu nehmen, hat man unter kluger Be- 
nutzung der Verhältnisse die alten ägyptischen An- 
sprüche wieder aufgenommen und zu tatsächlicher 
Geltung gebracht. Kitchener Pascha eroberte im 
September 1898 Kartum zurück und als in dem- 
selben Jahre der Franzose Marchand Faschoda, 
6 bis 700 Kilometer oberhalb Kartums, besetzte, 
ließ die englische Regierung keinen Zweifel dar- 
über, daß sie als Vertreterin und Inhaberin 
Agyptens so ziemlich das gesamte Stromgebiet 
des Weißen Nils bis hinauf zu den Seen, aus 
denen er seinen Ursprung nimmt, und einschließ- 
lich Kordofans und Darfurs als britischen Besitz 
ansehe. 
Kurz zuvor hatte sie im Hinterlande der alten 
Niederlassungen an der Goldküste und der Sierra 
Leone ihre Ansprüche binnenwärts weithin fest- 
gelegt, hatte vom Niger und Benue aus die be- 
völkertsten Teile des Sudan bis zum Tsadsee und 
zur Sahara hin für britischen Besitz erklärt und 
in Ostafrika das Auftreten der Deutschen zum 
Anlaß genommen, sich neben ihnen nordwärts 
bis zum Jubflusse und landeinwärts bis zum 
Victoria-Rjansa und jenseit desselben in Uganda 
festzusetzen. Der oberste Nil ließ sich jetzt nicht 
nur vom Mittelmeer, sondern auch vom Indischen 
Ozean her über britisches Gebiet erreichen, und 
Abessinien sowie Italiens neue Erwerbungen be- 
haupteten nach der gleichzeitigen Erweiterung des 
überlieferten britischen Besitzes an der Somali- 
küste kaum noch eine andere Stellung als die 
von Enklaven im nordostafrikanischen Kolonial- 
reiche Großbritanniens. Zwischen dem südlichsten 
Nil= und dem nördlichsten Zambesibesitz liegen 
kaum noch acht Breitengrade von den siebenzig, 
über die Afrika sich ausdehnt. Von einer Räu- 
mung Agyptens kann nicht mehr die Rede sein, 
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