Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

1064 
unerwähnt kann bei der Besprechung der Erfolge 
der russischen Baumwollkultur die Entwicklung 
der Olschlägerei in Zentralasien bleiben, die auf 
der Verarbeitung von Baumwollsamen beruht. 
Im Laufe der letzten Jahre sind nach dem Vor- 
bild der Kaiserlichen Domänenverwaltung, die 
auf der bekannten Domäne Murgab bei Merw 
eine modern eingerichtete Olschlägerei in Betrieb 
gesetzt hat, in der Fergana zahlreiche große und 
gut eingerichtete Betriebe dieser Art ins Leben 
gerufen worden, die Baumwollsamenöl für die 
Seifenindustrie und für den in Rußland großen 
Bedarf an Fastenöl herstellen. Neben den tur- 
kestanischen und einer kankasischen Fabrik be- 
schäftigen sich übrigens auch große Olmühlen in 
Nischnij-Nowgorod und Saratow mit der Ver- 
arbeitung zentralasiatischen Baumwollsamens. Die 
Preise für Baumwollsamenöl und deshalb auch 
für Baumwollsamen sind infolge der starken Nach- 
frage im Steigen begriffen. Das begünstigt 
einerseits den Baumwollanban, verleitet aber auch 
leicht zu einer nur auf die Samengewinnung 
gerichteten, die Faser vernachlässigenden Kultur. 
Ein wichtiges Nebenprodukt dieser neuen In- 
dustrie sind die Trester (Baumwollsamenöl-Kuchen), 
die in großen Mengen nach England verschifft 
werden, wo sie als Viehfutter gern verwendet 
werden. In neuester Zeit macht sich nach diesem 
Artikel auch Nachfrage aus Deutschland geltend. 
Baumwollhandel. Die Preisbewegung in 
Baumwolle auf dem Moskauer Markt hielt sich 
im Jahre 1906 in engeren Grenzen als früher. 
Die Berichte über die neue Erweiterung der An- 
baufläche in den Vereinigten Staaten und in 
Zentralasien sowie die Aussichten auf eine unge- 
wöhnlich reiche Ernte in Turkestan konnten den 
Markt ebensowenig danernd beeinflussen als die 
Telegramme über die Herbststürme in Amerika. 
Dagegen vermochte natürlich der zentralrussische 
Industriebezirk den Vorteil gut auszunutzen, den 
ihm die reiche zentralasiatische Ernte bot. Die 
Notwendigkeit, diese Ernte auf dem russischen 
Markte unterzubringen, bewirkte zusammen mit 
dem Minderverbrauch in Polen, welches sonst 
viel asiatische Flocke verwendet, daß die Preise 
für die Baumwolle russischer Herkunft sich stark 
unter dem Preis für amerikanische halten mußten. 
Man konnte zeitweise Ia Sorte asiatischer Baum- 
wolle aus amerikanischem Samen, die der Qua- 
lität nach im Jahre 1906 etwa good middling 
Orleans= Baumwolle 28 mm Stapel entsprechen 
dürfte, um 1 Rbl. bis 1 Rbl. 25 Kop. unter dem 
Preis der letzteren kaufen. 
Baumwollindustrie. Die schwierigen poli- 
tischen Verhältnisse in der ersten Hälfte des Jahres 
1906 konnten auf den Geschäftsgang in Rußland 
im allgemeinen nicht ohne Einfluß bleiben. Die 
  
Streiks verhinderten eine ruhige Tätigkeit der In- 
dustrie und machten jeden Voranschlag und jede 
Verbrauchsschätzung unmöglich. Die Befürch- 
tungen für die russische Valuta sowie die Be- 
sorgnis vor neuen Stürmen führten zur Ein- 
schränkung der üblichen Kredite und zur 
Einschränkung der Produktion. Naturgemäß er- 
gab sich jedesmal ein starker Ausschwung in der 
Geschäftstätigkeit, sobald sich eine der an gewisse 
Termine oder politische Ereignisse anknüpfenden 
Befürchtungen als unbegründet erwies. Die 
Stockung der Produktion erzeugte ein dauerndes 
Überwiegen der Nachfrage über das Angebot 
und trieb die Preise in die Höhe zu einer 
geradezu glänzenden Konjunktur für die Fa- 
brikanten von Garn, Geweben und fertigen 
Manufakturwaren. Die beschränkten Kredite und 
höheren Preise hinderten die Händler an der 
Anlegung größerer Lager. Die Fabrikanten, ge- 
stärkt durch Barverkäufe, brauchten nicht auf 
Lager zu arbeiten und bekamen freie Mittel. 
Demgemäß erfolgten die Zahlungen aller Voraus- 
sicht entgegen leichter und besser als in den 
günstigsten früheren Jahren. Einige Monate 
lang sah man der Entwicklung des Geschäftes 
mit Mißtrauen und Besorgnis zu, da man neue 
politische Bewegungen befürchtete. Als es sich 
jedoch erwies, daß die Befürchtungen unbegründet 
waren, entwickelte sich das Geschäft in der zweiten 
Hälfte des Jahres auf gesunder Grundlage und 
zu befriedigenden Preisen in glänzender Weise. 
Der Warenmangel führte zum Abschluß von 
Kontrakten auf Garne und Gewebe für Lieferungen 
bis April 1908 hinaus zu so günstigen Preisen, 
daß für 1907 sehr gute Bilanzen der Fabrikanten 
zu erwarten waren. Anderseits hatte aller- 
dings die Unmöglichkeit des Einkaufes von Garnen 
zu mäßigen Preisen die kleinen Weber, nament- 
lich die zahlreichen Handweber, sehr beeinträchtigt, 
so daß sie vielfach kein Material erhalten konnten 
und ihre Webstühle stehen lassen mußten. Der 
Mangel an Geweben hatte wieder zur Folge, 
daß die Zitzfabriken bedentend weniger arbeiten 
konnten, als sie nach Maßgabe ihrer Einrichtungen 
vermocht hätten. Viele Betriebe waren nur im- 
stande, das Quantum zu verarbeiten, das sie aus 
selbstgewebten Stücken herstellten konnten, weil 
keine Gewebe im offenen Markte käuflich waren. 
Die schweren Betriebsstörungen im Lodzer 
Industriebezirk kommen Moskau zugute und haben 
das Ihre zur Schaffung der guten Geschäftslage 
getan. Im Zusammenhang mit der Situation 
in Polen und auf Grund der regelmäßigen Zu- 
nahme des Verbrauchs von Baumwollwaren in 
Rußland, die statistisch feststeht, dürfte im Jahre 
1907 und zu Anfang 1908 eine beträchtliche 
Vermehrung der Spindeln und Webstühle im
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.