Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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das Jahr 1870 uns alle von Nord und Süd 
auf immer geeinigt hatte und ein Staatswesen 
entstanden war, das auch zu einer Aktion nach 
außen geeignet war, traten an den Fürsten Bis- 
marck schon alsbald unternehmende deutsche Kauf- 
leute heran, die ihm koloniale Erwerbungen vor- 
schlugen. Und der große Kanzler war sich auch 
von vornherein klar darüber, daß eine bedentende 
Nation koloniale Besitzungen nicht nur haben 
dürfe, sondern er sprach auch offen aus, daß sie 
solche haben müsse. Aber noch hatte die Nation 
zu viele Aufgaben innerer Politik zu lösen, noch 
mußte sie sich erst im neuen Hause einleben, noch 
waren viele wichtige Institutionen unseres Staats-, 
Rechts= und Wirtschaftslebens zu schaffen, ehe der 
Blick nach außen gerichtet werden konnte; aber 
wie manche erhaltene Außerung des Fürsten 
Bismark bezeugt, hat er den Gedanken an ein 
überseeisches Deutschland nie aus dem Auge ver- 
loren. 
Die Ereignisse, die zu der Erwerbung unserer 
verschiedenen Kolonien geführt haben, sind in 
diesem Kreise zu bekannt, als daß ich sie wieder- 
holen sollte. Es ist wahr, die Welt war ziemlich 
verteilt, als den Deutschen die Möglichkeit der 
überseeischen Ausdehnung erschien. Es war zweck- 
los, die Blicke auf Amerika, Asien oder Australien 
zu richten; hier war überall ein fester Besitz, 
waren abgegrenzte Interessensphären enropäischer 
Freunde oder Nachbarn. Aber es ist ein Irr- 
tum, dem nicht genug entgegengetreten werden 
kann, weil er immer und überall wieder ver- 
breitet wird, als ob wir in Afrika zu kurz 
gekommen seien und sozusagen die Brosamen 
hätten aufpicken müssen, die uns die anderen 
Völker übrig gelassen hätten. Dem ist nicht so; 
die heutige Gestaltung der Besitzverhältnisse und 
Machtverteilung im schwarzen Kontinent ist die 
Folge der deutschen Initiative, und die deutschen 
Erwerbungen waren es, die das Signal gaben 
auch für die anderen Nationen, noch freie Ge- 
biete in Besitz zu nehmen. 
Mit Ehren kann der Deutschen Kolonial= 
Gesellschaft und ihrer leitenden Männer gedacht 
werden für das, was sie in der Vorbereitung 
der Afrika-Erwerbungen geleistet hat, mit Dank 
derjenigen Männer, die an Ort und Stelle die 
Besitzergreifung durchgeführt und in manchen 
Fällen Opfer ihrer Aufgabe geworden sind. 
Aber die spröde Natur eines damals kaum, ja 
heute noch nicht durchweg erforschten Landes 
einerseits und der binnenländische Sinn eines 
großen Teils unseres Volkes anderseits machten 
es schwer, sehr schwer, in den Gedanken und 
Empfindungen der Heimat dem Kolonialbesitz 
diejenige Stelle zu erringen, denjenigen Boden 
zu bereiten, auf dem die junge Pflanze sich ent- 
  
falten konnte. Wie wenig waren wir vorbereitet 
auf koloniale Aufgaben! Nur unermüdliche 
Tätigkeit bei Regierung und Kolonialfreunden 
brachte es zuwege, daß allmählich das Bewußt- 
sein von der Wichtigkeit unseres Besitzes sich 
weitere Schichten eroberte. Was hierbei die 
Deutsche Kolonialgesellschaft in mühevoller Arbeit 
geleistet hat, darf ihr nicht vergessen werden. 
Und diese Arbeit war um so schwerer, als Rück- 
schläge, Fehler und Mißerfolge nicht ausblieben. 
Wir besaßen in unserem Volke wenig kolonial- 
erfahrene Männer, in unserer Beamtenschaft keine. 
Wir wußten nichts von der Psychologie und 
Wirtschaftsweise Schutzbefohlener, wir waren uns 
unklar über die Produktionsmethoden, die für die 
Schutzgebiete angepaßt sind, und über die besten 
Wege zu ihrer Erschließung. Wir konnten nicht 
wie die Engländer auf jahrhundertelange Er- 
fahrung und ein Reservoir geschulter Kolonial- 
beamter zurückgreifen. Auch waren wir uns im 
Unklaren über die Machtmittel, die erforderlich 
sind, um einen Kolonialbesitz zu verwalten, fünf- 
mal so groß wie die Heimat, mit 12 bis 14 
Millionen Einwohnern, die zum Teil nie einem 
Fremden gehorcht, nahezu nirgends einem ge- 
ordneten Staatswesen angehört hatten. Auch 
fehlte uns die Kenntnis der Sprache. All dies 
hatten wir zu schaffen und verstehen zu lernen. 
Wer solche Schwierigkeiten gerecht übersieht und 
einschätzt, kann nur sagen, daß in den Jahren 
vieles und gutes geleistet ist, das hinter den 
Leistungen anderer Nationen nicht zurücksteht, 
wie ich jetzt aus eigener Anschauung versichern 
kann, und er kann sagen, daß kein Grund vor- 
handen ist, trotz mancher ehrlich zugestandenen 
Mißgriffe, mancher unbehaglichen Vorkommnisse, 
dem deutschen Volke die Freude an seinem 
Kolonialbesitz zu verleiden. Daß in vielen Wider- 
wärtigkeiten das Interesse nicht erlahmt ist, daß 
unter dem Eindruck unwillkommener Nachrichten 
keine Entmutigung eingetreten ist, und daß das 
Verständnis für die zu überwindenden Schwierig- 
keiten gewachsen und damit eine gerechtere Stim- 
mung Platz gegriffen hat, ist zum guten Teil 
Ihrer Gesellschaft zu danken. 
Manchem allerdings ging und geht noch 
heute die Entwicklung unseres Kolonialbesitzes 
viel zu langsam, und der Wert der Kolonien 
wird vielfach herabgesetzt, weil sie keine Früchte 
bringen. Es ist wahr, große und schwere Opfer 
an Geld und Blut hat die Nation heldenmütig 
gebracht, besonders in jener schweren Krise, die 
unser Südwestafrika-Schutzgebiet getroffen hat. 
Aber wenn Sie zum Vergleich die kolonialen 
Erfahrungen der anderen Nationen heranziehen, 
sehen Sie, daß überall der gleiche Vorgang sich 
abspielt, daß Kolonien nicht nur besetzt,
	        
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