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Seilen und wandten uns wieder nach der
Lagunenseite der Insel. Das Wasser stieg glück-
licherweise nur langsam; der Wind war schwächer
geworden. Da erblickten wir einen gewaltigen
Brotfruchtbaum, der mit seinem ganzen Wurzel-
werk aus der Erde gehoben war. Dieses Wurzel-
werk, das einige Meter hoch emporragte, erkletterten
wir und fanden uns hier verhältnismäßig gut
geborgen. Kaum hatten wir dies Obdach ge-
funden (es mag gegen 9 Uhr morgens gewesen
sein), als der eigentliche Taifun aus Ostsüdost
einsetzte. Die Stärke dieses Windes zu beschreiben
ist unmöglich. Es war als wenn tausend Schnell-
züge dicht an unserem Baum vorbeirasten. Die
Lust war so voller Regen und Mceresstaub, ver-
mischt mit Sand, daß es nicht möglich war, auch
nur einige Meter weit zu sehen. So tobte der
Sturm ununterbrochen bis gegen 3 Uhr nach-
mittags, von Ostsüdost nach Südost springend.
Um diese Zeit wurde es ein wenig stiller.
Die Sonne brach sogar, wenn auch verschleiert,
auf einige Augenblicke hervor und es war nun
eine Orientierung möglich, wo wir uns eigentlich
befanden. Dabei stellte sich heraus, daß wir ziem-
lich dicht am Strande der Lagune in der Nord-
westecke der Jnsel waren. Das Wasser war wieder
gefallen. Um uns herum breitete sich eine große,
trostlos aussehende Wüste aus, der Boden war
meterhoch mit gestürzten Bäumen bedeckt. Nur
ab und zu ragten, wo einst ein blühender, para-
disisch schöner Garten gewesen war, der nackte
Stumpf eines Brotfruchtbaumes und einige ver-
dorrte Palmen hervor. Von menschlichen An-
siedlungen weit und breit keine Spur. Am Strande
bezeichneten nur einige wüste Trümmerhaufen die
Stellen, wo vorher die mächtigen Kannhäuser,
gefüllt mit dem Stolz der Eingeborenen, den
kunstvollen Hochseekamus, Fischreusen und Netzen
gestanden hatten. Keine menschliche Seele war
zu sehen. Als wir uns dem Dorfe Jaur näherten,
fanden wir hier das Wasser meterhoch stehen.
Plötzlich erblickten wir zwei phantastische Gestalten,
grellrot am ganzen Körper eingeriebene Jünglinge,
die ein Schwein trugen. Ihnen folgten wir und
bis an die Hüften im Wasser watend erreichten
wir nach schwierigen Kletterpartien den Ort ziem-
lich im Mittelpunkt der Insel, wo sich die Ein-
geborenen schon zum Teil wieder gesammelt hatten.
Es stellte sich heraus, daß zum Glück von allen
Einwohnern der Insel Oleai niemand um-
gekommen war. Es wurde rasch ein Biwak
aufgeschlagen, Hütten aus Buschwerk wurden auf-
gestellt und Feuer angezündet. In diesem Biwak
verbrachten wir bei strömendem Regen die erste
Nacht.
Am Sonnabend, den 30. März früh, hatte
der Wind bedeutend nachgelassen. Wir begaben
uns an den Strand und hielten Umschau. In
der Lagune wirbelte und kochte die See noch wild
durcheinander; vom Schoner „Ponape“ war keine
Spur zu sehen. Eingeborene brachten uns die
Nachricht, sie hätten die Lichter des Schiffes noch
am Morgen des 29. bemerkt; wir wurden auch
auf zwei Masten aufmerksam gemacht, die aus
dem Wasser ragten, ungefähr 1½ bis 2 Seemeilen
vom Ufer entfernt. Von den Eingeborenen wurden
sie allgemein als die Mastspitzen der gesunkenen
„Ponape“ angesehen. Mir erschienen diese Spitzen,
durch das Fernglas beobachtet, aber mehr Baum-
stämmen ähnlich zu sein. Immerhin mußten wir
annehmen, daß die „Ponape“ mit Mann und
Maus untergegangen sei, da sie am Morgen des
29. März noch im Hafen gewesen war und un-
möglich den Taifun in der Lagune überstanden
haben konnten. Ein Gang am Ufer der Insel
zeigte uns überall das gleiche Schreckensbild der
Verwüstung. Ganz besonders schlimm schienen
die Inseln Palian und Raur gelitten zu haben.
An der Stelle, wo gegenüber Oleai die herrliche
Insel Raur gelegen hatte, war nur eine lange
weiße, mit ganz wenigen Palmen und Baum-
stümpfen bestandene Sandbank zu sehen. Am
Strande von Leuleperik fanden wir das erste
Opfer der Katastrophe, die Leiche eines etwa fünf-
jährigen Knaben. Mit weit ausgerissenen Augen
und schrecklich verzerrten Gesichtszügen lag er
zwischen den Korallensteinen am Ufer. Als wir
in das Lager zurückkehrten, scholl uns lautes Weinen
und Klagen entgegen, das den ganzen Tag nicht
mehr verstummen sollte. Die ersten Hiobsposten
waren eingetroffen und immer neue kamen hinzu.
Von den Einwohnern der Inseln Raur waren
nur zwei am Leben geblieben, ein Mann und
eine Frau. Der Verlust an Menschenleben
belief sich hier auf hundertdreißig. Neun
Einwohner dieser Insel waren während des Tai-
funs auf anderen Inseln gewesen und so gerettet
worden. Auf Paliau waren von neunzig Ein-
wohnern fünfzig umgekommen, darunter auch
der tüchtige Polizeisoldat Jenloch, der bei dem
Versuch, Frau und Kind zu retten, mit seiner
ganzen Familie ertrunken war. Auf Tageulap
war eine Fran durch ein zusammenstürzendes Haus
erschlagen worden. Von der Insel Saliap waren
vier Frauen umgekommen, die während des Tai-
funs sich auf Raur befunden hatten, von der Insel
Utagal zehn Einwohner, von Falalis fünf, so
daß sich der Gesamtverlust an Menschenleben
auf zweihundert belief. Die Zahl der Ver-
letzten war sehr groß; doch waren die Verwun-
dungen zum Glück meist leichter Natur. Auch
diesen leicht Verletzten konnte ich keine Hilfe bringen,
da meine gesamten Vorräte an Medikamenten und
Verbandmitteln sowie alle Instrumente verloren