Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

G 570 2O 
Seilen und wandten uns wieder nach der 
Lagunenseite der Insel. Das Wasser stieg glück- 
licherweise nur langsam; der Wind war schwächer 
geworden. Da erblickten wir einen gewaltigen 
Brotfruchtbaum, der mit seinem ganzen Wurzel- 
werk aus der Erde gehoben war. Dieses Wurzel- 
werk, das einige Meter hoch emporragte, erkletterten 
wir und fanden uns hier verhältnismäßig gut 
geborgen. Kaum hatten wir dies Obdach ge- 
funden (es mag gegen 9 Uhr morgens gewesen 
sein), als der eigentliche Taifun aus Ostsüdost 
einsetzte. Die Stärke dieses Windes zu beschreiben 
ist unmöglich. Es war als wenn tausend Schnell- 
züge dicht an unserem Baum vorbeirasten. Die 
Lust war so voller Regen und Mceresstaub, ver- 
mischt mit Sand, daß es nicht möglich war, auch 
nur einige Meter weit zu sehen. So tobte der 
Sturm ununterbrochen bis gegen 3 Uhr nach- 
mittags, von Ostsüdost nach Südost springend. 
Um diese Zeit wurde es ein wenig stiller. 
Die Sonne brach sogar, wenn auch verschleiert, 
auf einige Augenblicke hervor und es war nun 
eine Orientierung möglich, wo wir uns eigentlich 
befanden. Dabei stellte sich heraus, daß wir ziem- 
lich dicht am Strande der Lagune in der Nord- 
westecke der Jnsel waren. Das Wasser war wieder 
gefallen. Um uns herum breitete sich eine große, 
trostlos aussehende Wüste aus, der Boden war 
meterhoch mit gestürzten Bäumen bedeckt. Nur 
ab und zu ragten, wo einst ein blühender, para- 
disisch schöner Garten gewesen war, der nackte 
Stumpf eines Brotfruchtbaumes und einige ver- 
dorrte Palmen hervor. Von menschlichen An- 
siedlungen weit und breit keine Spur. Am Strande 
bezeichneten nur einige wüste Trümmerhaufen die 
Stellen, wo vorher die mächtigen Kannhäuser, 
gefüllt mit dem Stolz der Eingeborenen, den 
kunstvollen Hochseekamus, Fischreusen und Netzen 
gestanden hatten. Keine menschliche Seele war 
zu sehen. Als wir uns dem Dorfe Jaur näherten, 
fanden wir hier das Wasser meterhoch stehen. 
Plötzlich erblickten wir zwei phantastische Gestalten, 
grellrot am ganzen Körper eingeriebene Jünglinge, 
die ein Schwein trugen. Ihnen folgten wir und 
bis an die Hüften im Wasser watend erreichten 
wir nach schwierigen Kletterpartien den Ort ziem- 
lich im Mittelpunkt der Insel, wo sich die Ein- 
geborenen schon zum Teil wieder gesammelt hatten. 
Es stellte sich heraus, daß zum Glück von allen 
Einwohnern der Insel Oleai niemand um- 
gekommen war. Es wurde rasch ein Biwak 
aufgeschlagen, Hütten aus Buschwerk wurden auf- 
gestellt und Feuer angezündet. In diesem Biwak 
verbrachten wir bei strömendem Regen die erste 
Nacht. 
Am Sonnabend, den 30. März früh, hatte 
der Wind bedeutend nachgelassen. Wir begaben 
  
uns an den Strand und hielten Umschau. In 
der Lagune wirbelte und kochte die See noch wild 
durcheinander; vom Schoner „Ponape“ war keine 
Spur zu sehen. Eingeborene brachten uns die 
Nachricht, sie hätten die Lichter des Schiffes noch 
am Morgen des 29. bemerkt; wir wurden auch 
auf zwei Masten aufmerksam gemacht, die aus 
dem Wasser ragten, ungefähr 1½ bis 2 Seemeilen 
vom Ufer entfernt. Von den Eingeborenen wurden 
sie allgemein als die Mastspitzen der gesunkenen 
„Ponape“ angesehen. Mir erschienen diese Spitzen, 
durch das Fernglas beobachtet, aber mehr Baum- 
stämmen ähnlich zu sein. Immerhin mußten wir 
annehmen, daß die „Ponape“ mit Mann und 
Maus untergegangen sei, da sie am Morgen des 
29. März noch im Hafen gewesen war und un- 
möglich den Taifun in der Lagune überstanden 
haben konnten. Ein Gang am Ufer der Insel 
zeigte uns überall das gleiche Schreckensbild der 
Verwüstung. Ganz besonders schlimm schienen 
die Inseln Palian und Raur gelitten zu haben. 
An der Stelle, wo gegenüber Oleai die herrliche 
Insel Raur gelegen hatte, war nur eine lange 
weiße, mit ganz wenigen Palmen und Baum- 
stümpfen bestandene Sandbank zu sehen. Am 
Strande von Leuleperik fanden wir das erste 
Opfer der Katastrophe, die Leiche eines etwa fünf- 
jährigen Knaben. Mit weit ausgerissenen Augen 
und schrecklich verzerrten Gesichtszügen lag er 
zwischen den Korallensteinen am Ufer. Als wir 
in das Lager zurückkehrten, scholl uns lautes Weinen 
und Klagen entgegen, das den ganzen Tag nicht 
mehr verstummen sollte. Die ersten Hiobsposten 
waren eingetroffen und immer neue kamen hinzu. 
Von den Einwohnern der Inseln Raur waren 
nur zwei am Leben geblieben, ein Mann und 
eine Frau. Der Verlust an Menschenleben 
belief sich hier auf hundertdreißig. Neun 
Einwohner dieser Insel waren während des Tai- 
funs auf anderen Inseln gewesen und so gerettet 
worden. Auf Paliau waren von neunzig Ein- 
wohnern fünfzig umgekommen, darunter auch 
der tüchtige Polizeisoldat Jenloch, der bei dem 
Versuch, Frau und Kind zu retten, mit seiner 
ganzen Familie ertrunken war. Auf Tageulap 
war eine Fran durch ein zusammenstürzendes Haus 
erschlagen worden. Von der Insel Saliap waren 
vier Frauen umgekommen, die während des Tai- 
funs sich auf Raur befunden hatten, von der Insel 
Utagal zehn Einwohner, von Falalis fünf, so 
daß sich der Gesamtverlust an Menschenleben 
auf zweihundert belief. Die Zahl der Ver- 
letzten war sehr groß; doch waren die Verwun- 
dungen zum Glück meist leichter Natur. Auch 
diesen leicht Verletzten konnte ich keine Hilfe bringen, 
da meine gesamten Vorräte an Medikamenten und 
Verbandmitteln sowie alle Instrumente verloren
	        
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