Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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Vermischtes. 
* MOQethode für völkerpspchologische Erkundungen. 
Wer sich nicht mit allgemeinen, vulgärpsycho- 
logischen Bewertungen der Negerpsyche begnügen 
will, wie: „die Eingeborenen sind Kinder“ oder 
a„sie sind Bestien“ oder „kein Weißer kann eines 
Kaffern Seele verstehen“, der muß sich mit wissen- 
schaftlicher Völkerpsychologie befassen. Das gilt 
als schwer und zeitraubend; zur Erleichterung 
sollen folgende Winke dienen. 
Die Hauptsache ist Vorbereitung: man muß 
ungefähr wissen, welche Gedankenwelt man bei 
den betreffenden Eingeborenen zu erwarten hat. 
Dazu dient die „Anleitung für ethnographische 
Beobachtungen und Sammlungen in Afrika und 
Oceanien“, die vom Berliner Völkermuseum her- 
ausgegeben ist, dazu ist fast unerläßlich das Stu- 
dium der „VBölkerpsychologie“ von Wundt. Wer 
daran Geschmack bekommen hat, wird sich auch 
leicht andere einschlägige Werke beschaffen, von 
denen ich nur noch die Zeitschriften „Mitteilungen 
aus deutschen Schutzgebieten“", „Globus“ und 
„Anthropos“ erwähne. Ebenso notwendig ist die 
Vorbereitung auf dem Sprachgebiet, für Afrika 
die Durcharbeitung der Meinhofschen Werke: 
„Grundriß einer Lautlehre der Bantusprachen“ 
und „Grundzüge einer vergleichenden Grammatik 
der Bantusprachen“, für die Südsee die Kenunt- 
nis von Schmidts Arbeiten: „Über das Ver- 
hältnis der melanesischen Sprachen zu den poly- 
nesischen", und „Die sprachlichen Verhältnisse von 
Deutsch-Neuguinea". 
An Ort und Stelle, unter den Eingeborenen, 
kann dann das Eindringen in deren jeweilige 
Sprache und Mundart mit dem Sammeln vonpsycho- 
logischem Material Hand in Hand gehen. Die 
Benutzung einer Mittlersprache (auch — für Ost- 
afrika — des Swaheli) genügt nicht, und das 
Dolmetschen in einer Karikatursprache, wie es das 
„Pidyin-englisch"“ der Südsee oder Kameruns ist, 
führt nie zu einer tieferen Verständigung. Die 
gewöhnliche Methode, einige hundert Vokabeln 
der neuen Sprache zu notieren, und dann der 
Praxis das unbewußte Weiterlernen zu überlassen, 
führt bald zu einem toten Punkt. Zu empfehlen 
ist, von vornherein mit der Aufnahme von 
Texten zu beginnen. Wo es (wie meist) keine 
Schreibkundigen gibt, ist die Dressur von anal- 
phabetischen Eingeborenen zum Dilktieren in ihrer 
Muttersprache der schwierigste Teil der ganzen 
Arbeit, der besondere Geduld erfordert. Zu den 
Texten wähle man anfangs Themen des täglichen 
Lebens, Hausbau, Reisebeschreibungen, Familien= 
erlebnisse usw., die den Farbigen selbst inter- 
essieren, und deren Inhalt er durch Gesten und 
  
Demonstrationen verständlich machen kann. Bleibt 
zu Anfang auch manches Wort, manche gram- 
matische Konstruktion unübersetzbar, so schreitet 
doch bei dieser Methode das Eindringen in die 
fremde Sprache stetig vorwärts. Nachdem der 
Gewährsmann durch das Diktat von etwa 20 
bis 30 Seiten solcher einfachen Texte angelernt 
ist, gehe man zur Aufnahme von Märchen und 
Sagen über, zu denen man ihn dadurch anregt, 
daß man in seiner Sprache, wenn auch zunächst 
in radebrechender Weise, selbst Märchen aus dem 
Ideenkreise ihm verwandter Völker oder auch aus 
der europäischen Mythologie erzählt. Mit dem 
zunehmenden Textmaterial wächst dann die Sprach- 
kenntnis ebenso wie das Verständnis für den In- 
halt und für die Gedankenwelt des Eingeborenen. 
Aus etwa 50 Seiten Märchentexten wird man 
dann genug Anknüpfungspunkte gefunden haben, 
um zu wissen, welchem Kreise von Vorstellungen 
die einheimischen religiösen Überzeugungen an- 
gehören: Animalismus, Fetischismus, Zauber- 
glaube, Ahnenkult uspw. Nun muß man sich in 
diese Vorstellungen soweit einlassen, daß man sie 
als selbstverständliche Grundanschauungen aller 
Menschen, auch der Europäer, behandelt, wohl 
gelegentlich seine Zweifel, ja seinen Unglauben 
nicht verhehlt, aber nie sie mit Spott und Ver- 
achtung ablehnt. Mitunter hilft die aufrichtige 
Darlegung: wenn wir Europäer eure Gebräuche 
genau kennen, werden wir euch besser behandeln, 
euch besser Recht sprechen und regieren können. 
Das wichtigste bleibt auch hierbei, wie an der 
ganzen Methode, daß der Gewährsmann aus sich 
heraus diktiert und nicht auf Einzelfragen ant- 
wortet, weil dabei der „Lüge aus Gefälligkeit" 
Vorschub geleistet werden würde. 
Am leichtesten ist es, Farbige zum „Auftauen“ 
zu bringen, wenn sie von ihrer engeren 
Heimat und ihren Angehörigen losgelöst, wenn 
sie in der „Diaspora" leben. In fernen 
Garnisonen ausgebildete Rekruten, über See an- 
geworbene Arbeiter geben so die brauchbarsten 
Gewährsleute ab, wenn und weil sie auf ihre 
Herren angewiesen und froh sind, daß sie über 
ihre ferne Heimat, an der alle hängen, plaudern 
dürfen. Künstlich gewissermaßen kann man solche 
„Diaspora“ veranlassen, indem man Eingeborene 
auf Reisen mitnimmt, — nicht freilich nach Europa, 
was aus anderen Gründen zu widerraten ist. — 
Stets jedoch muß der forschende Europäer seine 
Überlegenheit, seinen Herrenstandpunkt bewahren, 
das fraterniser en cochon: kann höchstens in 
gewisse Obszönitäten Einblick verschaffen, nie je- 
doch zu dem Vertrauen führen, dem die Religions=
	        
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