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Über die wirtschaftliche Lage der Kap-
provinz während des abgelaufenen Jahres im
besonderen ist folgendes zu erwähnen. Mit lang-
samen, doch sicheren Schritten bewegt sich die
Landwirtschaft in den neuen Bahnen moderner
Wirtschaftsmethoden. Die saumselige Tätigkeit
bgenügsamer Farmer scheint einem emsigen Streben
nach nutreicher ökonomischer Betätigung zu weichen.
Moderne Prinzipien bürgern sich ein, wissenschaft-
lche Theorien finden ihre gebührende Berücksich-
tigung, und dementsprechend sind auch auf fast
allen Gebieten der Landwirtschaft wesentliche Fort-
schritte zu verzeichnen.
Durch Anlegung bedeutender Irrigationswerke
werden bisher öde Landstriche dem Ackerbau
nutzbar gemacht. In den letzten drei Jahren
wurden etwa 100 000 Acker') neuen Landes
unter Kultur gebracht. Die Getreide= und Mais-
selder im Osten und Westen der Kapprovinz
ehnen sich immer mehr aus. Durch Einführung
edleren Zuchtviehs sucht man die Qualität tierischer
rzeugnisse zu heben, um mit den Produkten
anderer Länder auf dem europäischen Markte er-
folgreich konkurrieren zu können.
Die Tabakkultur hat im wesentlichen Teile
der Provinz sicheren Fuß gefaßt, und wenn auch
zur Zeit noch die Qualität des Tabaks zu wünschen
übrig läßt, so berechtigen doch die ersten Versuche
zu Hoffnungen auf günstigere Resultate in der
Zukunft. Die Weinfarmer wenden der Wein-
bereitung größere Sorgfalt zu; hierin werden sie
von der Regierung wirksam unterstützt. Diese
sucht besonders durch Errichtung von Muster-
kellereien und Versuchsstationen belehrend zu
wirken. Ein bedeutender Export südafrikanischer
Weine ist jedoch für die nächste Zeit noch nicht
zu erwarten, da es noch vieler Neuerungen be-
darf, um sie für den europäüschen Konsum geeignet
zu machen.
Sehr günstig scheint sich der Obstbau zu ent-
wickeln. Wie nachstehende Zahlen ergeben, nimmt
die Ausfuhr frischer Früchte merklich zu. Es
wurden ausgeführt während der Fruchtsaison:
1904/05: 24 000, 1905/06: 60 000, 1906//07:
82 000, 1907/08: 173 000, 1908/09: 174 000
und 1909/10: 202 000 Kisten. Auch getrocknete
Früchte, deren Zubereitung einen wesentlichen
Industriezweig der Westprovinz bildet, finden nicht
nur in Südafrika, wo sie den importierten Artikel
allmählich von der Einfuhr verdrängen, sondern
auch in Europa einen willigen Markt.
Im Molkereiwesen sind bedeutende Fortschritte
zu verzeichnen. Zwar werden noch große Mengen
australischer Butter eingeführt, die ihres billigen
reises wegen vielfach begehrt wird, doch ver-
— —
*) 1 Acker = 40,5 a.
drängt die einheimische Produktion die fremde
Einfuhr immer mehr. Ahnlich verhält es sich
mit der kolonialen Käsefabrikation. Auch konden-
sierte Milch wird jetzt im Lande hergestellt. Die
Regierung sucht nach Möglichkeit, z. B. durch Ge-
währung finanzieller Unterstützungen, auf diesem
Gebiete fördernd zu wirken.
Es werden neuerdings Versuche gemacht, in
der Kapprovinz neue Kulturen einzubürgern,
vornehmlich handelt es sich dabei um die An-
pflanzungen von Olivenbäumen sowie den Baum-
woll= und Zuckerrübenbau. Mit der Olivenkultur
ist im Westen der Kapprovinz begonnen worden,
und die bisherigen Ergebnisse geben vielfach zu
optimistischen Erwartungen Anlaß. Im Osten
der Provinz, namentlich an den Küstenstrichen
von East London, sollen ausgedehnte Baumwoll-
felder angelegt werden, während im Nordosten
Versuche gemacht werden, Zuckerrüben anzupflanzen.
Bei einem Zuckergehalt der Rüben von 15 und
16 v. H. glaubt man neben der in Natal be-
stehenden Rohzuckerindustrie eine lohnende Rüben-
zuckerkultur in der Kapprovinz entwickeln zu können.
Die südafrikanische Landwirtschaft hat noch
ein großes Arbeitsfeld vor sich. Dafür spricht
allein der Umstand, daß von einem ertragsfähigen
Boden von 177 000 000 Acker in der Kapkolonie,
von denen sich 134 000 000 in Privatbesitz be-
finden, nur eine Million bewirtschaftet wird. In
ganz Südafrika sind nur etwa 3 Millionen Acker
unter Kultur. Nicht nur sind es die ärmeren
Bodenstriche der Karoo, welche kostspielige Irri-
gationswerke bedürfen, um lohnenden Ertrag zu
liefern, oder die nur unter einem System der
Trockenkultur sich bebauen ließen, sondern selbst
in der fruchtbaren Westprovinz liegen noch weite
Strecken von reichem Ackerboden brach.
Ahnlich dem noch wenig entwickelten Zustand
der Landwirtschaft verhält es sich auch mit dem
Bergbau in der Kapkolonie. Abgesehen von den
Kimberley-Diamantminen und den Kupferminen
im Namagqualande ist bisher noch wenig geschehen,
um die in der Kapkolonie vorhandenen, angeblich
reichen Minerallager der verschiedensten Arten
(Kohlen, Zinn, Asbest usw.) in Abbau zu nehmen.
Rühriger sieht es auf dem Gebiete des übrigen
Industrie= und Gewerbewesens aus. Es zeigt
sich allseitig das Bestreben, solche Waren von der
Einfuhr allmählich auszuschließen, deren lohnende
Fabrikation in Südafrika möglich ist. Außer den
verschiedensten Nahrungsmitteln, wie Mollkerei-
waren, Mehl, Zuckerwaren, Weine und dergleichen,
sind es namentlich Haushaltungsartikel, wie Möbel,
Kerzen, Seife, Leder= und auch Textilwaren, die
man anfängt, im Lande selber herzustellen. Die
verschiedenen südafrikanischen Fabrikantenvereini-
gungen sind eifrig bemüht, von der Regierung