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des Indigos noch nahezu 20 Jahre nötig waren,
um das Produkt in die Praxis einzuführen, so
glaube ich, daß bei dem Kautschuk ebenso lange,
wenn nicht noch längere Zeit dazu nötig ist. Die
Herstellung des Kautschuks auf synthetischem Wege
bietet weitaus größere Schwierigkeiten als die
Herstellung des Indigos, denn der Kautschuk ist
heute noch ein Stoff, der physikalisch außerordentlich
schwer zu definieren ist. Man wußte wohl, daß,
wenn man ihn trocken destillierte, Kohlenwasser-
stoffe entstanden und daß sich unter diesen Kohlen-
wasserstoffen Isopren befand. Es hat sich eine
ganze Reihe von Chemikern bemüht, synthetischen
Kautschuk herzustellen, und es soll auch in Cam-
bridge und in Göttingen früher einmal gelungen
sein. Erst nach den Harriesschen Arbeiten kam
Licht in das Molekül des Kautschuks.
Gleichzeitig gelang es Dr. Hoffmann von den
Elberfelder Farbenfabriken, synthetischen Kautschuk
herzustellen. Dieses Produkt bot sehr viel Inter-
esse und soll aus einem dem Isopren nahestehen-
den Produkt hergestellt sein. Durch die unglaub-
liche Hausse, die der Kautschuk im vergangenen
Jahre erfuhr, gereizt, wurde mit großem Eifer
an dem Problem weitergearbeitet, und es gelang
schließlich den Elberfelder Farbenfabriken, größere
Quantitäten des Produktes herauszubringen. Da
zeigte es sich, daß der Kautschuk außerordentlich
viele Brüder hat. Die Chemiker wissen, was ich
damit meine. Er hat jüngere und ältere Brüder,
aber sie unterscheiden sich so wie wir Menschen,
die wir alle gleich, aber als Individuen verschieden
sind. So sind auch die Kautschuke untereinander
verschieden.
Der Kautschuk, den ich zunächst in Händen
hatte, zeigte nicht die Eigenschaften, wie sie der
natürliche hat. Er konnte sich z. B. mit Schwefel
nicht vertragen und hatte ein etwas lederartiges
Aussehen. Diese Tatsache ist an sich aber weiter
nicht wunderbar, da es eine ganze Reihe Kaut-
schuke gibt, die sich schlecht oder gar nicht vulka-
nisieren und erst durch allerlei Manipulationen
gezwungen werden, sich mit dem Schwefel zu
verbinden. Es wurde nun weiter versucht, und
bald zeigte man uns einen Bruder, der sich mit
dem Schwefel schon etwas besser verband. Aber
immerhin waren seine Eigenschaften noch nicht so,
wie man sie von einem Kautschuk verlangen kann;
es fehlte ihm vor allen Dingen die notwendige
Elastizität.
Durch diese Mißerfolge ließen sich aber die
Chemiker nicht abschrecken, und schließlich wurde
uns ein dritter Bruder gezeigt, der die Anforde-
rungen erfüllte, die wir an einen Kautschuk stellen:
er vulkanisierte. Ich war erstaunt, als man mir
eines Tages eine beträchtliche Menge davon
brachte. Während der Verarbeitung verhielt sich
dieses Produkt z. B. auf der Mischwalze tadellos,
und man kann sich die Herzensfreude des Che-
mikers und des Gummifabrikanten in diesem
Augenblicke vorstellen.
Nun kommt die Frage, ob dieser aus den
Elberfelder Farbenfabriken stammende Kautschuk
auch praktisch in großen Quantitäten herzustellen
ist, und ob der synthetische Kautschuk eine Gefahr
für den natürlichen bildet. Das neue Produkt
ist wohl vulkanisierbar, besitzt Elastizität und mag
vielleicht noch nicht ganz der richtige Bruder sein,
aber brauchbar ist das Material jedenfalls. Auch
der Preis ist gar nicht so hoch, aber die Frage,
ob es möglich ist, später größere Quantitäten von
diesem synthetischen Kautschuk in den Handel zu
bringen und so kaufmännisch zu verwerten, daß
der wilde oder Plantagenkautschuk die Konkurrenz
des synthetischen zu fürchten braucht, ist nicht
einfach zu beantworten. Das Rohmaterial, aus
dem künstlicher Kautschuk gemacht wird, muß auch
erst synthetisch hergestellt werden, und nach dem
Stande der Dinge kommen nur wenige chemische
Fabriken in Frage, die solche Riesenaufgaben mit
Erfolg lösen können. Aber in den Handel wird
der künstliche Kautschuk kommen, das ist sicher.
Dabei kommt aber nicht allein der Chemiker in
Frage, sondern auch der kluge Kaufmann, und
der kluge Kaufmann wird sich schwer hüten, so
viel künstlichen Kautschuk herzustellen, daß er sich
sein eigenes Material entwertet. Er wird seinen
künstlichen Kautschuk nur in gewissen. Mengen in
den Handel bringen und ihn zu demselben Preise
verkaufen wollen, wie den natürlichen Kautschuk,
sonst würde er keinen Nutzen haben. Die Preis-
frage wird sich von selber regeln, jedenfalls aber
muß der künstliche Kautschuk noch billiger werden,
um dem natürlichen ernstlich Konkurrenz machen
zu können.
Der künstliche Kautschuk wird also kommen,
aber nicht zum Schaden unseres angebauten oder
wilden Kautschuks. Dies zur Beruhigung unserer
kolonialen Kautschukinteressenten!