Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXII. Jahrgang, 1911. (22)

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des Indigos noch nahezu 20 Jahre nötig waren, 
um das Produkt in die Praxis einzuführen, so 
glaube ich, daß bei dem Kautschuk ebenso lange, 
wenn nicht noch längere Zeit dazu nötig ist. Die 
Herstellung des Kautschuks auf synthetischem Wege 
bietet weitaus größere Schwierigkeiten als die 
Herstellung des Indigos, denn der Kautschuk ist 
heute noch ein Stoff, der physikalisch außerordentlich 
schwer zu definieren ist. Man wußte wohl, daß, 
wenn man ihn trocken destillierte, Kohlenwasser- 
stoffe entstanden und daß sich unter diesen Kohlen- 
wasserstoffen Isopren befand. Es hat sich eine 
ganze Reihe von Chemikern bemüht, synthetischen 
Kautschuk herzustellen, und es soll auch in Cam- 
bridge und in Göttingen früher einmal gelungen 
sein. Erst nach den Harriesschen Arbeiten kam 
Licht in das Molekül des Kautschuks. 
Gleichzeitig gelang es Dr. Hoffmann von den 
Elberfelder Farbenfabriken, synthetischen Kautschuk 
herzustellen. Dieses Produkt bot sehr viel Inter- 
esse und soll aus einem dem Isopren nahestehen- 
den Produkt hergestellt sein. Durch die unglaub- 
liche Hausse, die der Kautschuk im vergangenen 
Jahre erfuhr, gereizt, wurde mit großem Eifer 
an dem Problem weitergearbeitet, und es gelang 
schließlich den Elberfelder Farbenfabriken, größere 
Quantitäten des Produktes herauszubringen. Da 
zeigte es sich, daß der Kautschuk außerordentlich 
viele Brüder hat. Die Chemiker wissen, was ich 
damit meine. Er hat jüngere und ältere Brüder, 
aber sie unterscheiden sich so wie wir Menschen, 
die wir alle gleich, aber als Individuen verschieden 
sind. So sind auch die Kautschuke untereinander 
verschieden. 
Der Kautschuk, den ich zunächst in Händen 
hatte, zeigte nicht die Eigenschaften, wie sie der 
natürliche hat. Er konnte sich z. B. mit Schwefel 
nicht vertragen und hatte ein etwas lederartiges 
Aussehen. Diese Tatsache ist an sich aber weiter 
nicht wunderbar, da es eine ganze Reihe Kaut- 
schuke gibt, die sich schlecht oder gar nicht vulka- 
nisieren und erst durch allerlei Manipulationen 
gezwungen werden, sich mit dem Schwefel zu 
verbinden. Es wurde nun weiter versucht, und 
bald zeigte man uns einen Bruder, der sich mit 
dem Schwefel schon etwas besser verband. Aber 
immerhin waren seine Eigenschaften noch nicht so, 
wie man sie von einem Kautschuk verlangen kann; 
es fehlte ihm vor allen Dingen die notwendige 
Elastizität. 
  
Durch diese Mißerfolge ließen sich aber die 
Chemiker nicht abschrecken, und schließlich wurde 
uns ein dritter Bruder gezeigt, der die Anforde- 
rungen erfüllte, die wir an einen Kautschuk stellen: 
er vulkanisierte. Ich war erstaunt, als man mir 
eines Tages eine beträchtliche Menge davon 
brachte. Während der Verarbeitung verhielt sich 
dieses Produkt z. B. auf der Mischwalze tadellos, 
und man kann sich die Herzensfreude des Che- 
mikers und des Gummifabrikanten in diesem 
Augenblicke vorstellen. 
Nun kommt die Frage, ob dieser aus den 
Elberfelder Farbenfabriken stammende Kautschuk 
auch praktisch in großen Quantitäten herzustellen 
ist, und ob der synthetische Kautschuk eine Gefahr 
für den natürlichen bildet. Das neue Produkt 
ist wohl vulkanisierbar, besitzt Elastizität und mag 
vielleicht noch nicht ganz der richtige Bruder sein, 
aber brauchbar ist das Material jedenfalls. Auch 
der Preis ist gar nicht so hoch, aber die Frage, 
ob es möglich ist, später größere Quantitäten von 
diesem synthetischen Kautschuk in den Handel zu 
bringen und so kaufmännisch zu verwerten, daß 
der wilde oder Plantagenkautschuk die Konkurrenz 
des synthetischen zu fürchten braucht, ist nicht 
einfach zu beantworten. Das Rohmaterial, aus 
dem künstlicher Kautschuk gemacht wird, muß auch 
erst synthetisch hergestellt werden, und nach dem 
Stande der Dinge kommen nur wenige chemische 
Fabriken in Frage, die solche Riesenaufgaben mit 
Erfolg lösen können. Aber in den Handel wird 
der künstliche Kautschuk kommen, das ist sicher. 
Dabei kommt aber nicht allein der Chemiker in 
Frage, sondern auch der kluge Kaufmann, und 
der kluge Kaufmann wird sich schwer hüten, so 
viel künstlichen Kautschuk herzustellen, daß er sich 
sein eigenes Material entwertet. Er wird seinen 
künstlichen Kautschuk nur in gewissen. Mengen in 
den Handel bringen und ihn zu demselben Preise 
verkaufen wollen, wie den natürlichen Kautschuk, 
sonst würde er keinen Nutzen haben. Die Preis- 
frage wird sich von selber regeln, jedenfalls aber 
muß der künstliche Kautschuk noch billiger werden, 
um dem natürlichen ernstlich Konkurrenz machen 
zu können. 
Der künstliche Kautschuk wird also kommen, 
aber nicht zum Schaden unseres angebauten oder 
wilden Kautschuks. Dies zur Beruhigung unserer 
kolonialen Kautschukinteressenten! 
 
	        
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