Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIV. Jahrgang, 1913. (24)

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jeher der Grundsatz, sie in möglichst weitem Umfange 
zu berücksichtigen. In allen anderen großen Fragen 
der speziellen Eingeborenen-Polirik — ich rechne bierher 
die Fragen der Verwendung der eingebvorenen Macht- 
haber innerhalb der Vorwaltung, der Heranziehung 
der Eingeborenen zu den Kosten der Verwaltung, der 
Regelung der Grundbesitzverhältnisse und der Regelung 
des gesamten Erziehungswesens — ist der Wechsel 
ganz auffallend. Ganz abgeschlossen ist der Prozeß 
auch heute noch nicht. Bezüglich der Verwendung der 
eingeborenen Machthaber innerhalb der Verwaltung 
hat sich England allerdings wohl grundsätzlich und end- 
gültig für das indirekte Verwaltungssystem, d. h. für 
das Herrschen und Verwalten mit Hilfe der und durch 
die Eingeborenen-Häuptlinge, entschieden. Übera 
taucht in der Gesetzgebung und in der amtlichen — 
richterstatiung die Tendeng auf. die Stellung der Häupt- 
linge und sonstigen Machthaber zu festigen und zu 
heben. Wo einheimische Organisationen fehlten, ist. 
soweit es die Verhältnisse irgend gestatteten, versucht 
worden, neue zu schaffen. Ist dies bisher noch nicht 
überall gelungen, so dürfte doch seitens der englischen 
Kolonialverwaltungen weiter in diesem Sinne ge- 
arbeitet werden. 
Weit mehr im Übergangsstadium befinden sich die 
übrigen drei Fragen. Haben wir in Nordnigerien die 
allgemeine Grund= und Einkommenstener, so fehlt es 
in Südnigerien und der Goldküste noch vollkommen an 
einer allgemeinen direkten Besteuerung. Vorläufig 
können noch die Zölle die Auforderungen der Ver- 
waltungen befriedigen. Wird das auch noch für Ni- 
gerien der Fall sein, sobald e und Nordnigerien 
endgülrig vereinigt sind und die Überschüsse Süd- 
nigeriens auch den Reichszuschuß für Nordnigerien 
überflüssig machen sollen? Ein großer Teil der in 
anderen Kolonien aus allgemeinen Mitteln zu be- 
streitenden Kosten für die Schaffung und Unterhaltung 
der Verkehrsstraßen ist allerdings durch die Über- 
tragung dieser Verpflichtung auf die Häuptlinge auf 
diese abgewälzt worden. Es dürfte nicht allzu schwierig 
sein, dies System ausgubauen und nach und nach auch 
teuere Wege= und Straßenbauten durch die Häupt- 
linge bestreiten zu lassen. Aber es fragt sich, ob 
damit das gesamte Bedürfnis der Verwaltung gedeckt 
ist. Eine allgemeine direkte Besteuerung eing#uführen. 
wie sie in Frangösisch-Westafrika und in deutschen 
Kolonien üblich ist, dürfte von Jahr zu Jahr schwieriger 
werden und, sofern die Beunruhigung der Bevölkerung 
in Lagos anläßlich des Beschlusses über Einführung 
von allgemeinen Wasserleitungsabgaben einen Rück- 
schluß hestattet, in den auf höherer Kulturstufe stehenden 
Gebieten auf beträchtlichen Widerstand stoßen. Ganz 
dasselbe gilt von der jetzt noch vielfach in der Offent- 
lichkeit verlangten Auèdehnung der nahezu kommu- 
nistischen Regelung der Landfrage, wie sie in Nord- 
nigerien erfolgt ist, auf die übrigen Gebiete an der 
afrikanischen Westküste. Ich kann mir nicht gut denken, 
daß sien in den emtwickelten Gebieten in der Nähe der 
Küste, in d.nen sich enropäische Anschauungen über 
Einzeleigentum, Bodenwert und Wertzuwachs schon so 
lange haben einnisten können, nun ohne weiteres diese 
über eine einfache Bevormundung hinausgehende und 
einer Enteignung gleichkommende Regelung wird ein- 
führen lassen, zumal gleichzeitig damit die Erhebung 
einer Grundsteuer verbunden werden soll, gang abge- 
sehen davon, daß dies für die kultivierten Gebiete die 
Tusübung eines Herrenrechts bedeuten würde, wie es 
isher stets seitens Englands in anderen Gebieten auf 
das lebhafteste bekämpft wird. In Nordnigerien wurde 
die Durchführung dadurch erheblich erleichtert. deß vor 
der britischen Herrschaft die Anschauung bestand, der 
  
Sultan von Sokoto habe eine Art Obereigentum über 
alles Land innerhalb seines Reiches. Dieses Recht 
ging mit seiner Unterwerfung gewisserm aßen auf die 
britische Krone über. Eine derartige Vorstellung dürfte 
aber in den anderen Gebieten kaum vorherrschen und 
ein anderer rechtlicher Grund zu der. Maßregel sich 
auch kaum finden lassen. M. E. aber der 
durchaus anzuerkennende Endzweck e# Bestimmung, 
den Eingeborenen ihr Land zu erhalten und ungesunde 
curopäische Unternehmungen fernzuhalten, schon dann 
erreichen, wenn jeglicher Vertrag über ein Grundstück 
der Genehmigung durch den Gonverneur bedarf. Da- 
mit bleibt immer die ichkeit gegeben, in be- 
sonderen älen auch den Erwerb von Eigentum durch 
Fremde zu gestatten 
Mindestens gleichwichtig wie die Landfrage ist 
meines Dafürhaltens die Frage, wie in Zukunft das 
Erziehungswesen in den Kolonien gestaltet werden 
soll. Das bisherige System. nach dem dem Bildungs- 
drang der Neger irgendwelche Schranken nicht gesetzt 
vurden, sich jeder, soweit es seine Fähigkeiten und 
Mittel gestatteten, englische Bildung, ja Hochschul- 
bhildung aneignen konnte, dürfte wohl nach überein- 
stimmendem lUlrteil aller Kolonialpraktiker keine be- 
friedigenden Ergebnisse gezeitigt haben. Die „Ver- 
englisierung“ hat den Eingeborenen in der über- 
wiegenden Mehrzahl der Fälle nicht zum Segen ge- 
reicht. Der Lehrplan der Schule in Nassarawa beweist, 
daß man für Nordnigerien diesen Fehler vermeiden 
möchte. Daß er sich noch in den Küstenorten wieder 
gutmachen läßt, möchte ich bezweifeln. Die Betonung 
der Handfertigkeiten im Unterricht und vor allem die 
landwirtschaftliche Unterweisung durch Wanderlehrer in 
den letzten Jahren kommt zweifellos dem wahren 
Kulturbedürfnis der Mehrgahl der Eingeborenen näher, 
wenigstens soweit sie noch nicht der Landbestellung 
entfremdet sind. In den Städten dürfte eine aus- 
schließlich auf die praktische Verwendbarkeit gerichtete 
Schulbildung nicht mehr den Wünschen der Einge- 
borenen entsprechen. Hier wird sich das Fortschreiten 
der „Verenglisierung“ nicht mehr aufhalten lassen. 
Ist das richtig, so kommt man auch auf diesem 
Gebiet zu einem Dnalismus zwischen den Küsten- 
städten und dem Inland, wie wir ihn auch bei der 
Schilderung der Rechisverhältnisse angetroffen haben. 
Es liegt nahe. nicht in der Vervollständigung der Ver- 
schmelgung, sondern in der strikten Durchführung der 
Scheidung zwischen Küstenstädten und Inland die 
Lösung der sich für die englische Eingeborenen-Politik 
ergebenden Schwierigkeiten zu suchen und den ver- 
englisierten Küstenorten das Inland mit nationaler 
Kultur= und Wirtschaftsentwicklung gegenüberzustellen. 
Jene blieben dann das Erbteil früherer Systemlosig-- 
keit, mit dem sich die heutige englische Kolonialver= 
waltung wohl oder übel abzufinden hätte. Dies wäre 
das Anwendungsgebiet einer Eingeborenen-Politik, die 
unter absolutem Schutz der Eingeborenen und ihrer 
berechtigten Gewohnheiten ihren wirklichen wirtschaft- 
lichen und kulturellen Bedürfnissen Rechnung trägt, 
dabei aber die Autorität der kolonisierenden Macht in 
vollem Umfang au wahren weiß.. 
1 
  
  
S 
- 
  
Dle „rtchaßtch= Cage von Französlsch-Kquatorlal- 
ka am Ende des ersten balbsahrs 1912. 
ors. . Famechon, Administrateur des colonics. 
Französisch- Aquatorial- Afrika ist anscheinend seit 
einigen Jahren in eine Periode des regelmäßigen und 
schnellen Fortschritts eingetreten. Den Antrieb dazu 
hat die fortschreitende militärische und administrative
	        
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