Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXV. Jahrgang, 1914. (25)

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genügend gewürdigt worden. Gerade ihre während 
der letzten Jahrzehnte stattgefundene Durchbrechung 
haben wir zur Erklärung vieler der unter den Karolinern 
in auffallender Heftigkeit oder Häufigkeit auftretenden 
Krankheiten heranzuziehen. Das Volk steht in einer 
geinndbeitlichen Krisis, wie sie auch anderen, auch 
Kulturvölkern nicht erspart geblieben ist, sobald sie un- 
vermittelt aus den bis dahin für sie gezogenen 
Schranken ihres Verkehrs und ihrer Kultur heraus- 
traten. Auch Deutschland hat sie erlebt; ich erinnere 
an die schwere Seuchenvermittlung durch die Kreuz- 
züge oder an die schwerste aller Krisen, denen die 
deutsche Volkskraft ausgesetzt war, die durch den 
30 jährigen Krieg, in dem Millionen nicht vor dem 
Feinde, wohl aber vor den Seuchen dahinsanken, und 
kaum mehr als ein Viertel der ursprünglichen Volks- 
zahl übrig blieb. 
IV. Der Bevölkerungsaufbau der Insel. 
Nachdem wir uns einen Uberblick über die 
wichtigsten Krankheiten Japs verschafft haben, wird 
es zweckmäßig sein, an der Hand des vorliegenden 
statistischen Materiales den gesamten Aufban der Be- 
völkerung zu betrachten. Er weicht in fast allen 
wesentlichen Merkmalen ehoeblich vom durchschnittlichen, 
normalen Aufbau eines Vol . Wir wollen daher 
auch in diesem Kapitel nicht 7 sehr den Gründen dieser 
Eigenart nachgehen — ich hoffe, sie werden sich im 
Laufe unserer Erörterungen ganz von selbst ergeben — 
7 sie vielmehr zur besseren Bewertung durch Hin- 
eise auf die entsprechenden Verhältnisse bei anderen 
Vebeer vergleichend beleuchten. 
Die jetzige Bevölkerungsdichte der etwa 
217 km großen Insel beträgt knapp 30 Köpfe auf den 
Onadratkilometer. Sie entspricht damit ungefähr der 
Bevölkerungsdichte Europas im ganzen und übersteigt 
die aller unserer afrikanischen Kolonien bei weitem. 
In Preußen reichen mehrere (Provinzen nicht über die 
Freiche Zahl hinaus. Jap ist also auch heute noch gut 
bevölkert. Über die Größe der Einbuße in den letzten 
Soterton liegen keine genauen Zählungen vor; die 
Schätzungen aus spanischer Zeit gehen weit ausein- 
ander. Hochgreifende Angaben von Landeskennern 
(Rubary) lauten dahin, daß noch Ende der achtziger 
Jahre die Bewohnerzahl 12000, also fast das Doppelte 
der heutigen betragen habe. Die Bevölkerung ist 
keineswegs gleichmäßig über die Insel vorteilt, sondern 
wir haben eine ausgesprochene Anhäufung auf dem 
fruchtbaren und für den Seeverkehr bequem gelegenen 
Küstenstreifen, wo fast alle der rund 100 Ortschaften 
gelegen sind. Die landeinwärts sich erhebenden Höhen- 
züge sind nur — schwach, auf weite Strecken über- 
haupt nicht bew 
2. Sehen dn ½ die Bevölkerung nach dem 
Geschlecht an, so ergibt sich für die Erwachsenen ein 
ungefähres Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen, 
während bei den Kindern ein sehr starkes Uüberwiegen 
des männlichen über das weibliche Geschlecht statthat. 
Die normale Grundtendenz der Euntwicklung ist die, 
daß die Völker im allgemeinen bei ihren Geburten 
einen mäßigen Überschuß von Knaben haben, so daß 
ungefähr 105 bis 106 auf 100 Mädchen entfallen. 
Dieser Uberschuß gleicht sich schon in den ersten Lebens- 
jahren sehr rasch durch eine erhöhte Sterblichkeit der 
Anaben aus und kehrt sich in den Kulturstaaten sogar 
zu einem geringen Überwiegen des weiblichen Ge- 
schlechtes um. In unserem Beobachtungsgebiete aber 
herrscht für die Vesamte Kindheit der Knabenüberschuß 
in dem hohen Verhältnis von 180: 100. Es ist un- 
möglich anzunehmen, daß das Gleichgewicht bei den 
älteren Generationen so zustande gekommen ist, daß 
  
nur eine erhöhte Sterblichkeit der Männer den anfäng- 
lichen Uberschuß beseitigt hat. Vielmehr deutet dieser 
so starke Kontrast zwischen dem Verhältnis der Ge- 
schlechter bei Erwachsenen und Jugendlichen mit zwin- 
gender Notwendigkeit darauf hin, daß die später noch 
zu besprechenden Gründe des hohen Knabenüberschusses 
sich erst in neuerer Zeit eingestellt haben. 
3. Aufbau der Bevölkerung nach dem 
Lebensalter. Ich habe mich bei meinen Erkun- 
digungen darauf beschränken müssen, das ungefähre 
Alter von 5 zu 5 Jahren zu bestimmen. Da die Ein- 
geborenen zwar ihr Alter nicht nach Jahren angeben 
können, wohl aber sehr genau wissen, wer von ihnen 
der ältere oder jüngere ist, ging ich so vor, daß ich 
meine Besprechungen mit ihnen immer in der Reihen- 
folge des Alters der Anwesenden hielt, wodurch die 
Altersschätzungen sehr erleichtert wurden. Wie schwer 
ohne dieses Hilfsmittel solche Schätzungen sind, möge 
daraus hervorgehen, daß schon oft von einem Europäer 
der Vater für jünger gehalten worden ist als sein 
Sohn. Neben den Altersklassen von 5 zu 5 Jahren 
ließen sich noch weitere auch für die Begriffe der Ein- 
geborenen gut abgrenzbare Gruppen aufstellen. Zu- 
nächst das erste Lebensjahr, das in Deutschland meist 
mit dem „Säuglingsalter“ identifiziert wird. Hier 
fallen bei der mehrjährigen Laktation der Frauen beide 
Begriffe nicht zusammen, wohl aber habe ich alle 
Kinder, die noch nicht laufen konnten, als ins erste 
Lebensjahr gehörig betrachtet. Die nächste gut ge- 
kennzeichnete ist die der Kindheit bis zur 
9 2 Karolinermädchen tritt sie — im 
Gegensatz zur den Korowligermaen Neu-Guineas — sehr 
früh ein und wird schon äußerlich dadurch keuntlich 
gemacht, daß jede Menstruierte als Zeichen ihrer Reife 
eine aus Gras geflochtene, schwarz gefärbte lange 
Schnur um den Hals trägt, die vorn zu einem Knuoten 
geschürzt wird. Eine dritte Altersklasse des weiblichen 
Geschlechtes umfaßt alle Frauen von der Veife bis zur 
Menopause, der Grenze der Gebärfähigk 
das so wichtige Verhöllusg Ver Kinder 
zu den Erwachsenen anbetrifft, so entfallen in Jap 
4% 1000 von diesen nur 2607 von jenen Zahlen, deren 
schwerwiegende Bedeutung uns klar werden wird, 
wenn wir berücksichtigen, daß in Deutschland auf 
1000 Erwachsene 534 Kinder unter 15 Jahren, also 
genau das Doppelte, entfallen, und daß selbst Frank- 
reich mit seinem Bevölkerungsstillstand 350 Jugendliche 
auf 1000 Erwachsene stellt. Neben der auffällig 
geringen Zahl von Kindern haben wir auf Jap eine 
nicht weniger auffällige, große Zahl alter Leute. 
Während man sonst unter den Naturvölkern, namentlich 
den Negern, nur selten wirklich hochbetagre Menschen 
trifft, wird jedem Beobachter gerade ihre starke Be- 
teiligung an der Bevölkerung der Insel in die Augen 
springen. Dabei sind die Betagtesten meist so alters- 
schwach, daß sie ihre Behansung nicht mehr verlassen 
können und gewöhnlich nicht in die Erscheinung treien. 
Ein Alter über 70 Jahre hinaus gehört nicht zu den 
Seltenheiten: aber selbst zur Annahme eines Alters 
von annähernd 80 Jahren war ich durch Ermittlung 
der Nachkommenschaft der Betreffenden mehrfach ge- 
zwungen. In Deutschland, das in diesem Punkte nur 
von Frankreich und Norwegen noch um einige Progente 
übertroffen wird, beträgt der Anteil der Greise über 
60 Jahre an der Gesamtbevölkerung 8 v. H., hier auf 
Jap 17 v. H.EC Dieses starke Uberleben der alten 
##elicbe erscheint mir als weiterer schwerwiegender 
Grund für die Annahme, daß die Ursachen des Volks- 
niederganges erst jüngeren Datums sein können. 
Natürlich werden bei jedem durch Geburtenmangel im 
Rückgang befindlichen Stamm die jüngeren Jahrgänge 
  
 
	        
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