Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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lassen, ist eine gewisse, allerdings komische Origi- 
nalität nicht abzusprechen"). 
Wie oben ausgeführt wurde, ist das Bestehen 
solcher Pläne, wie Leopold II. sie nach der Er- 
richtung des Kongostaates von 1891 an in folge- 
richtiger Weise zur Befriedigung seiner Baulust 
und zur Verstärkung der Macht und des Ansehens 
der Dynastie zur Durchführung brachte, beim 
Beginn seiner Beschäftigung mit afrrikanischen 
Fragen nicht nachweisbar und durchaus unwahr- 
scheinlich. Freilich war sein Vorgehen, das zu- 
nächst nur auf die Verwirklichung längst gehegter 
und wiederholt offen ausgesprochener Jugend- 
pläne, Belgien durch die Eröffnung neuer Absatz- 
gebiete für seinen Handel und Industrie reicher, 
angesehener und in seiner Existenz sichergestellter 
zu machen, gerichtet war, von vornherein mit 
einem System der Verschleierung und Unauf- 
richtigkeit behaftet. Das ließ sich aber, wie zu- 
zugestehen ist, bei dem Argwohn und Neid der 
in Afrika interessierten Mächte, wollte er sein Ziel 
erreichen, nicht vermeiden. Eine offene Darlegung 
seiner Absichten würde sie von vornherein zur 
Fruchtlosigkeit verurteilt haben. Keiner der 
deutschen, österreichischen, englischen, französischen, 
italienischen und russischen Geographen und Afrika- 
forscher, die auf die Einladung Leopolds am 
12. September 1876 im Brüsseler Königsschloß 
zusammentrafen, um in ganz nnoffizieller Weise 
mit ihm die Frage der Erforschung und Zivili- 
sation Afrikas zu erörtern und die Mittel und 
Wege zu suchen, um durch eine internationale 
friedliche Zusammenarbeit der europäischen Nationen 
und unter Vermeidung von Kraftvergendung diesen 
Erdteil der Wissenschaft, dem Handel und dem 
Fortschritt der zivilisierten Welt zu eröffnen und 
damit zugleich dem Sklavenhandel ein Ende zu 
bereiten, dürfte eine Ahnung davon gehabt haben, 
daß er durch die Mitwirkung an diesen Erörte- 
rungen: spezifisch belgischen materiellen Zwecken 
als Vorspann dienen sollte. Hatte der König 
)Während man in Brüssel bei diesen Vertrags- 
-#iulltres von der Annahme auszugehen schien, daß 
ein Negerhirn am Kongo imstande sei, solche böchst 
lomplizierten Begriffe des Völkerrechts wie die Ab- 
tretung der territorialen Sonveräuität zu verstehen, 
war es eine der ersten gesetzgeberischen Maßnahmen 
des neuen Kongostaates im Jahr 1885. die nötigen 
  
Bestimmungen zu erlassen, um den Eingeborenen den 
ungestörten Besitz ihrer Ländereien in sichern und die 
Rechtsgültigkeit jedes Landerwerbes seitens Europäer 
von den Eingeborenen von einer behördlichen Nach- 
prüfung abhängig zu machen. Das geschah mit der 
Begründung, daß die Eingeborenen unfähig seien, ihr 
Interesse wahrgunehmen und daß es nötig sei, sie vor 
der List, der Gewissenlosiakeit, ders Unehrlichkeit oder 
der Gewalttätigkeit der Weißen zu schützen. (Ugl. 
Cattier, Droit et administration eile ei. at Tudlep. Gän 
— 
Congo. S. 1J1.) 
doch in seiner Eröffnungs= und Begrüßungsrede 
seinerseits das Nichtvorhandensein egoistischer 
Gesichtspunkte ausdrücklich in den Vordergrund 
gestellt und ausgesprochen, daß Belgien zwar 
klein, aber glücklich und zufrieden mit seiner Lage 
sei. Er werde aber glücklich sein, wenn Brüssel 
nach den Plänen, die er im Auge habe, der 
Ausgangspunkt und das Zentrum einer großen 
zivilisatorischen Bewegung werde. 
Der erste Wendepunkt seiner Ansichten und 
Pläue ist beim König offenbar sofort nach dem 
Bekanntwerden der so großes Aufsehen erregenden 
Ergebnisse der im August 1877 zu Boma be- 
endeten Befahrung und Erforschung des Kongo- 
laufes durch Stanley eingetreten. Sie veranlaßten 
ihn sofort zu dem Entschluß, das Feld der Tätig- 
keit der A. I. A. von Ostafrika nach der Kongo- 
mündung zu verlegen und zugleich sein Programm 
auf materielle merkantile Interessen auszudehnen. 
Ohnehin hatten die wenigen seit der Brüsseler 
Zusammenkunft verflossenen Jahre gezeigt, daß 
eine einheitliche internationale Betätigung der 
elmopäischen Nationen an der systematischen wissen- 
schaftlichen Erschließung Afrikas unter einer zen- 
tralen Leitung und Verfügung über die auf- 
gebrachten Geldmittel bei der nationalen Eifer- 
süchtelei nicht zu erzielen war. England hatte 
sich von vornherein ausgeschlossen. Die von 
Deutschland aus betriebene Afrikaforschung ging 
zum großen Teil ihre eigenen Wege. Frankreich 
ließ deutlich erkennen, daß es nicht geneigt war, 
die nationalen Interessen auszuschalten und in 
den übrigen Staaten, Italien etwa ausgenommen, 
kam die angefachte Bewegung nicht über die 
Anfangsstadien hinaus und schlummerte bald 
wieder ein. 
Die Ausnutzung der Handelsmöglichkeiten, die 
der Kongo bot und die vom König sosort mit 
scharfem Blick erkannt worden waren, ließ sich 
im Rahmen des Programmes der A. I. A. nicht 
verwirklichen. Er schritt daher alsbald zu einer 
völligen Umgestaltung seiner Pläuc, die sich nun- 
mehr auf einer Mitwirkung Stanleys aufbauten. 
Doch diese war nicht ohne Schwierigkeiten zu 
erreichen. Denn der auf dem Gipfel seiner 
Forschererfolge stehende Reisende hatte nach seiner 
Rückkehr aus Afrika sich zunächst eifrig aber ver- 
geblich bemüht, die politischen und Handelskreise 
Englands für den Kongo zu erwärmen und seinem 
Vaterland damit die Herrschaft über Zentral- 
afrika zu sichern. Erst als diese Propaganda 
fehlgeschlagen war, trat er den Brüsseler An- 
erbietungen näher. Unter seiner Mitwirkung und 
auf seine Ratschläge hin erfolgte am 25. No- 
vember 1878 die Gründung einer neuen Gesell- 
schaft, des Comité etudes du Haut-Congo, 
das seine Ziele unter tunlichem Ausschluß der
	        
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