Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

II. Arten d. Rechtsnormen im besonderen. Gewohnheitsrecht. S34. 115 
Doch muß hier zweierlei berücksichtigt werden: 
1. Es bedarf natürlich nicht der Gewohnheit aller und 
jeder Bürger und Bauern, die etwa im Deutschen Reiche 
wohnen, sondern es genügt, wenn das Gewohnheitsrecht gleich- 
mäßig in allen denjenigen Teilen Deutschlands eine über- 
wiegende Geltung erwirbt, wo das betreffende Rechtsinstitut 
überhaupt von Bedeutung sein kann. Man wird natürlich 
eine Börsengewohnheit nicht in agrarischen Kreisen und eine 
Gewohnheit des landwirtschaftlichen Rechtslebens nicht in 
den Kreisen des Großhandels, man wird eine seerechtliche 
Gewohnheit in unseren Hansegebieten, man wird sie nicht in 
Nürnberg oder Augsburg suchen. 
2. Das Reichsgewohnheitsrecht wird sich vorzüglich im 
Gerichtsgebrauch äußern können, und hier kommt in Betracht 
entweder ein gemeinsamer Gerichtsgebrauch der Oberlandes- 
gerichte in Gebieten, wo es nicht zur Entscheidung des 
Reichsgerichts kommen konnte, oder der Gerichtsspruch des 
Reichsgerichtes; dieser allein schon kann Gewohnheitsrecht 
schaffen und das ist eine der Hauptaufgaben eines höchsten 
Gerichtes. Ein solches wird natürlich, wenn eine starke 
Strömung des Rechtsgefühls mächtig ist, unbewußt und iu 
der vollen Absicht, das Gesetz und nur das Gesetz zu ver- 
wirklichen, Auslegungen bieten, die dein Gesetz nicht ent- 
sprechen, aber eine neue fruchtbringende, wohltätige Rechts- 
bildung gewähren. Und bleibt das Reichsgericht in der 
einmaligen Richtung konstant, so entsteht ein neues Ge- 
wohnheitsrecht, und zwar ein Reichsgewohnheitsrecht. 
III. Gewohnheitsrechtliche Bildungen können also parti- 
kulärer Art sein; doch pflegt man dies vielfach mißzuverstehen: 
partikulärer Art sind die Rechtsbildungen nur dann, wenn 
sie sich in lokaler Beschränkung entwickeln, wenn also nicht das 
ganze Reich, sondern nur einzelne Örtlichkeiten des Reiches 
an der Gewohnheitsbildung teilnehmen. Dagegen ist nicht, 
wie man behauptet hat, eine partikuläre Gewohnheit dann 
gegeben, wenn sich die Gewohnheit nur auf bestimmte Stände 
bezieht; denn auch ein Gesetz, welches in Deutschland z. B. 
bloß den Kaufmannsstand oder den Stand der Seeleute oder 
die Gewerbetreibenden betrifft, ist nicht ein partikuläres, 
sondern ein allgemeines (Gesetz: nicht notwendig ist ja, daß
	        
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