Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

116 1.Buch. II. Abschn. Bildung der Rechtsordnung (Rechtsnormen). 
ein allgemeines deutsches Gesetz so gestaltet ist, daß es bei 
jedem Mitglied des ganzen deutschen Reiches zutreffen kann. 
IV. Fraglich ist es aber, ob auch in einem kleinen und 
kleinsten örtlichen Kreise sich ein Gewohnheitsrecht zu bilden 
vermag. Hier ist zu sagen: es kann sich bilden, soweit nach 
der Verfassung die Gemeinschaft eines kleinen Kreises fähig 
ist, Trägerin eines Sonderrechtes zu sein. Das kann natürlich 
gelten für die Bundesstaaten, es kann auch bezüglich der 
(Gemeinden und Kommunalverbände gelten, soweit ihnen be- 
sondere Verordnungen und Rechtssatzungen zustehen. Aber es 
kann sich nicht etwa ein Gewohnheitsrecht der einen oder 
andern Straße entwickeln, nicht ein Gewohnheitsrecht von 
20 Häusern. Richtig ist, daß es derartige Rechte gegeben 
hat, welche durchaus nicht mit dem politischen Umfang der 
Gebietskörperschaften zusammenfielen; allein das ist ein 
Überbleibsel aus Zeiten, wo diese kleineren Kreise noch 
eine politische Sonderstellung einnahmen. Hier ist die Ver- 
schiedenheit des bürgerlichen Rechtes geblieben, als auch die 
politische Sonderstellung aufhörte. Aber was historisch aus 
andern Verhältnissen übrig geblieben ist, kann sich nicht auch 
in unsern Tagen unter ganz andern Verhältnissen neubilden. 
Wohl aber kann das Gewohnheitsrecht sich gestalten in 
Kreisen der Autonomie. \Vo immer eine Gemeinschaft Seibst- 
gesetzgebung hat, kann sie auch durch Äußerung des Rechts- 
bewußtseins Normen schaffen; so z. B. eine Familie hohen 
Adels bezüglich der Ebenbürtigkeit oder bezüglich der Stellung 
des Frauenwittums. 
c) Gewohnheitsrecht und Geschäftsgebrauch. 
8 35, 
Aus dem Gesagten ergibt sich von selbst, daß das Ge- 
wohnheitsrecht sich vom Geschäftsgebrauch unterscheidet. Unter 
Geschäftsgebrauch versteht man eine Reihe von Bestimmungen, 
die in einem gewissen Verkehrskreise den Verträgen eingefügt 
zu werden pflegen, nicht als ob sie als notwendige Norm be- 
trachtet würden, sondern deshalb, weil man annimmt, daß die 
Lebensverhältnisse sich nach dem Bedarf des Ortes so am 
besten regeln lassen. Es kommt nun nicht selten vor, daß man
	        
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