III. Auslegung der Gesetze. 8 38. 197
Cr
nicht zum Ziel führen, diejenige Auslegung maßgebend wird,
welche, nicht nur den vernünftigsten, sondern auch den der
Bestrebung des Gesetzes gemäßesten Inhalt bietet.
IV. Daraus ergibt sich auch, daß die Auslegung des Gesetzes
keineswegs immer gleich bleiben darf. Es ist vollkommen
unstatthaft, von einer ausschließlich richtigen Auslegung zu
sprechen, die das Gesetz vom Anfang seiner Tage bis zu
seinem letzten Augenblick zu geleiten habe. Eine solche
Ansicht verkennt völlig die Zwecke des Gesetzes und macht
es von einem Mittel des Heils zu einem Gegenstand der Welt-
erkenntnis. Das Gesetz aber ist ein Mittel des Heils, ein
Mittel, um menschliche Zwecke zu erreichen, die Kultur zu
fördern, die kulturfeindlichen Elemente zurückzuhalten, die
Kräfte der Nation zu entwickeln. Es ist ein Gegenstand der
Erkenntnis nur insofern, daß es als ein wechselndes und
wandelbares Mittel des Heils erkannt werden muß, als ein
Faktor im Bereich der Kulturentwicklung, der richtig ist,
wenn er richtig wirkt, und den wir richtig erkennen, wenn
wir ihn als einen zweckentsprechend wirkenden erkennen.
Dementsprechend muß sich die Auslegung gestalten; und das
Heilmittel muß verschieden wirken, je nachdem die Zeitläufe
sich gestalten und die Kulturumgebung sich ändert. Trotz
aller solcher Wandlungen die nämliche Gesetzeswirksamkeit
aufrechterhalten zu wollen, wäre dem gleich, wenn man dem
Mann die Kost des Kindes reichen, wenn man eine Industrie-
nation nach dem Muster eines Ackerbauvolkes gestalten, wenn
man die Beleuchtung der Dämmerung der Beleuchtung des
Mittags gleichstellen wollte. Auf solche Weise kann das
Gesetz elastisch werden, den verschiedenen wechselnden Er-
fordernissen entsprechen und eine segensreiche Wirksamkeit
entfalten, auch wenn alle Umstände sich geändert haben,
unter denen es seinerzeit entstanden ist.
Das Gesetz ist also ein Mittel des Heils, es ist nicht
eime Erscheinung, die auf Wahrheit oder Unwahrheit zu
prüfen wäre. Wahrheit und Unwahrheit sind Begriffe, die
beim Gesetze ebensowenig in Betracht kommen, wie bei einem
Satze der Ethnologie: die ethnologischen Prinzipien entwickeln
sich verschieden in den Zeiten der Volksgeschichte und
Volksbewegung, und ebenso wird ein in das Volk hinein-