144 1.Buch. IV. Abschn. Das Recht als Wissenschaft und Technik.
vorzustellen. Erst wenn dies geschehen, ist es möglich,
wiederum zu kombinieren, um zu zeigen, wie das eine Element
zum anderen paßt. Daher kommt es, daß oft Leute von
großer kombinatorischer Phantasie keine großen Juristen sind,
während auf der anderen Seite Leute mit einer starken
abstrahierenden Phantasie sehr gute Juristen sein Können,
obgleich es ihnen unmöglich wäre, irgendwie in der Kunst
schöpferisch tätig zu sein.
VI. Die Entdeckung der Rechtstechnik, und zwar der
Rechtstechnik als bewußter Rechtsübung gegenüber der bloßen
unbewußten Empirie, ist die große Tat der Römer, die ihnen
nicht abgesprochen werden kann, so viel man auch gegen das
römische Recht einwenden mag. Und so groß auch die
Verdienste des deutschen Rechtes sind, so gewaltig die
Rechtsgedanken und so durchgreifend die Schöpfungen des
deutschen Geistes, so muß man doch anerkennen, daß nicht
das deutsche Schöffentum, sondern die römischen Juristen die
Technik des Rechtes erfunden haben. Ob nicht bereits die
Griechen oder die Babylonier zu einer erheblichen Rechts-
technik gelangt sind, ist hier nicht zu entscheiden. Wesent-
lich ist, daß die Römer sie kannten und eifrig übten, und
daß sie uns von ihnen übermittelt wurde. Von der Unter-
scheidung zwischen dinglichem und obligatorischem Recht sind
sie ausgegangen, und inden sie mehr als andere Völker diese
Zweiteilung der Rechte klar erkannten, konnten sie weiter
schreiten: sie konnten im Leben die dinglichen und die
obligationsrechtlichen Elemente scharf auseinander halten.
Durch die ganz ungewöhnliche Plastik ihres Prozesses, durch
die Klarheit, womit sich in der inientio, exceptio, replicatıo,
condemnatio das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren
darstelltee und womit jedem Juristen vor Augen gelegt
wurde, wie die juristischen Elemente im Leben einander
unterstützen oder wiederum einander bekämpfen können,
haben sie einen tiefen Einblick in die Wirksamkeit der Rechts-
faktoren erlangt; ganz ähnlich, wie eine technisch angelegte
Nation in der Konstruktion der Maschinen Neues und immer
Neues leisten wird, wenn sie das Maschinenwerk täglich vor
Augen sieht und hierbei die Wirkungsweise der einzelnen
Maschinenteile, der einzelnen Räder, Schrauben und Ver-