Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

Binleitung. 81. 3 
bloß dies. Wäre bloß dieses Verhältnis wirksam gewesen, so 
hätte sich die Rechtsübernahme mit einer gewissen Diskretion 
vollzogen, in ähnlicher Weise, wie man heutzutage handelsrecht- 
liche oder patentrechtliche Einrichtungen fremder Völker ent- 
lehnt. Man hätte sicher gewisse Vorbehalte gemacht. Die Art 
der „Rezeption“ war vielmehr vor allem getragen durch die 
Idee des Kaiserrechts, durch den Gedanken, daß die deutschen 
Kaiser Nachfolger der römischen Imperatoren seien, und mithin 
das justinianeische Recht ohne alles weitere das Recht des 
Kaisertums darstelle Das führte zu einem Übermaß der 
Rezeption und setzte das deutsche Recht oft mehr in den 
Schatten, als es ihm angemessen war, und was urdeutsch 
gewesen, steckte sich, um überhaupt noch bestehen zu können, 
in römisches Gewand. So spielte sich ein weltgeschichtliches 
Vermummungsspiel ab, das dem Forscher ein Lächeln ab- 
nötigte, müßte ihm nicht oftmals das Herz bluten ob einer 
solchen Verleugnung deutschen Wesens und deutschen Rechts. 
Doch trotz allem — das deutsche Recht ließ sich nicht 
ertöten. Entnahm man auf der einen Seite dem römischen 
Rechte diejenigen Kultur-Elemente, welche das verfeinerte und 
entwickelte Verkehrswesen der römischen Bevölkerung kenn- 
zeichneten, so brach auf der anderen Seite das germanische 
Recht überall da, wo das Leben germanisch war und germanisch 
blieb, wieder mit Macht hervor, und die großartigen Ergeb- 
nisse dieses Ringens finden wir auf der einen Seite in den 
italienischen Stadtrechten, und auf der anderen Seite in der 
Literatur der Postglossatoren. Diese Postglossatoren haben 
Balın gebrochen; sie haben gezeigt, wie das einheimische Wesen 
sich dem Überfluten des römischen Rechtes gegenüber wahren 
sollte; auf der anderen Seite brach sich in den italienischen 
Stadtrechten der deutsche Geist Bahn im Handelsrecht und in der 
Ausbildung der eigenartigen handelsrechtlichen Einrichtungen. 
Das war die Signatur des mittelalterlichen Rechtes: auf der 
einen Seite eine formale Überrezeption des römischen Rechtes, 
das Übermaß aber ausgeglichen durch das versteckte Ein- 
dringen des deutschrechtlichen Geistes, und auf der anderen 
Seite bereits die siegreichen Züge eines neuen Verkehrs- 
rechtes aus der Fülle deutschrechtlicher Ideen heraus. Trotz 
aller scheinhaften Rezeption war unsere deutsche Rechts- 
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