Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

2. Kreis der Rechtsordnung. $ 4. 11 
der Öffentlichen Straße ist nicht eine Verletzung des Rechtes 
an der Straße, sondern eine Verletzung des Rechtes der Persön- 
lichkeit. 
II. Anders ist es, 1. wenn die Persönlichkeitsrechte ge- 
schwächt sind, wie z. B. beim Gefangenen; hier kann die Be- 
fugnis, aus der Schwächung herauszutreten, ein Recht sein; 
2. wenn jemandem eine Befugnis über die Schranken hinaus 
gewährt wird, die sonst dem einzelnen gesteckt sind; dies kann 
ebenfalls ein Recht bilden, wie z.B., wenn jemand die Befugnis 
hat, einen Öffentlichen Garten zu einer Zeit zu benutzen, wo 
er anderen verschlossen ist (Fall des Privilegienrechts). 
In diesen beiden Fällen tritt das Recht in die neutrale 
Zone hinein und bemächtigt sich ihrer. 
III. Daraus ergibt sich eine wichtige Beschränkung der 
Rechtsordnung. Diese kann die innere Seite des menschlichen 
Lebens zwar berühren, aber nicht erfassen. Sie muß eine Menge 
von Gebieten dem Anreize des menschlichen Gemütes über- 
lassen; denn die sittliche Ordnung besteht darin, daß inner- 
halb eines gewissen Zwanges die Menschheit sich frei ent- 
wickeln kann und jeder seine Persönlichkeit zur Geltung zu 
bringen vermag. 
Daher können insbesondere die Familienverhältnisse vom 
Recht nur in äußerer Weise angefaßt werden. Alle Einzel- 
heiten des Familienlebens müssen sich nach Maßgabe der 
Einzel-Persönlichkeiten gestalten, denn nur in dem gegenseitigen 
Zusammenfinden der Naturen kann sich die große sittliche 
Bedeutung des Menschen entwickeln. Dasselbe gilt aber auch 
von dem sozialen Zusammenleben. Die Rechtsordnung hat 
nicht etwa die Aufgabe, den Menschen wohltätig zu machen, 
sondern sie muß dies seiner eigenen Natur überlassen. Sie 
kann nicht zur Menschenhülfe verpflichten, sie kann nur die 
Menschenhülfe nach der einen oder anderen Richtung hin 
befördern. Nur im äußersten Fall ist davon eine Ausnahme 
festzusetzen. Darum wäre es ein Irrgang, wenn man z.B. aus 
8 826 B.G.B. schließen möchte, man könne von jemandem ver- 
langen, daß er einem anderen beistehe, und eine Nichthülfe 
sei ein Verstoß gegen die guten Sitten. 
In gleicher Weise aber sind auch unzählige Versprechen 
des freien menschlichen Lebensverkehrs zu behandeln. Sie
	        
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