Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

3. Rechtsordnung und Sittlichkeitsordnung. 8 5. 13 
Beamte hat, ist davon eine Ausnahme zu machen: bezüglich 
dieser kann eine Rechtspflicht vorliegen; der Geistliche kann 
rechtlich verpflichtet sein, Messe zu lesen, der Laie aber 
nicht, an der Messe teilzunehmen. 
Gewöhnlich bespricht man die Frage im Schuldrecht; 
sie hat aber eine allgemeine Beziehung: es handelt sich um 
die Tragweite der Rechtsordnung und ihre Beziehung zu den 
menschlichen Lebensverhältnissen. 
Eines ist hier beizufügen: es gibt auch hier nichts ab- 
solutes: alles wechselt; eine andere Weltanschauung kann 
Dinge in das Recht rücken, die wir als Gegenstand der 
Sittenordnung betrachten, und umgekehrt. Die indischen 
Gesetzbücher bestrafen den Brahmanen, der es unterläßt, 
seinen Nachbarn mit zum Gastmahl einzuladen,!) orientalische 
Rechte ahnden den, der seinem Mitmenschen nicht behülf- 
lich ist, und das Mittelalter bestrafte die Übertretung der 
Kleiderordnung. 
Trotzdem aber bestehen getrennte Kreise von Sitte und 
Recht, und die Trennung wird mit der Entwicklung der Kultur 
nicht lockerer sondern schärfer. 
3. Rechtsordnung und Sittlichkeitsordnung. 
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I. Rechts- und Sittlichkeitsordnung sind zwei völlig ver- 
schiedene Kreise. 
Oben wurde bemerkt, wie sich aus dem Kreise der Sitte 
das Recht abhebt. Jetzt ist beizufügen, wie neben dem Recht 
auch die Sittlichkeit aus der Sitte erwächst, die Gesamtheit 
derjenigen Ordnungen enthaltend, welche nicht zur Regelung 
des Verkehrslebens, sondern zur Veredelung des Herzens 
bestimmt sind. Diese Ordnungen richten sich zwar, wie das 
Recht, an die Person, aber sie richten sich an ihr Inneres; 
sie legen dem Menschen eine Heiligung des Seelenlebens auf, 
und nur folgeweise ein Handeln, welches diese Heiligung zum 
Ausdruck bringt oder ihr wenigstens nicht widerspricht. 
Darum ist es hier mit einem äußeren Handeln nicht abgetan: 
1) Z. £. vgl. Kechtswiss. XVI 8. 187.
	        
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