14 I].Buch. I. Abschn. Stellung d. Rechtsordn. unter d. Kulturmächten.
das Innere läßt sich erziehen, aber nicht bezwingen; darum
kann von einem Zusammentreffen der Rechts- und Sittlichkeits-
ordnung nicht die Rede sein. Doch berühren sie einander,
und wie die Sittlichkeitsordnung die Rechtsordnung berück-
sichtigen muß, so umgekehrt die Rechtsordnung die Sittlichkeits-
ordnung.
II. In dieser Beziehung muß aber ein großer, früher
nicht genügend beachteter Unterschied aufgestellt werden.!)
Vollständig verschieden ist das Verhältnis von Recht und
Sittlichkeit, 1. wenn es sich um die Ausübung eines
vorhandenen Rechtes und 2. wenn es sich um die Er-
werbung eines neuen Rechtes handelt. Im letzteren Falle
gilt der Grundsatz: Die Rechtsordnung darf kein Recht in
der Art gewähren, daß die Sittlichkeit verletzt wird, sei
es durch den Inhalt dieses Rechtes, sei es durch die Um-
stände, welche diesen Rechtserwerb begleiten. So ist es
beispielsweise nicht gestattet, durch einen Vertrag ein Recht
gegen eine Person zu erlangen, das gegen die Sittlichkeit
verstößt, es ist aber auch nicht gestattet, durch den Vertrag
Geld, also ein an und für sich sittliches Gut, in einer Weise
zu erwerben, daß durch den Gelderwerb die Unsittlichkeit
befördert wird; so auch $ 138 B.G.B. Allerdings kann auch
hier die Rechtsordnung regelmäßig nur unmittelbare Un-
sittlichkeiten treffen: sie kann sich nicht darauf einlassen,
verbietend einzuschreiten, wenn etwa erst ein Zusammenhalt
rechtlicher Tätigkeiten unsittlich wäre. Wenn jemand z. B.
ein Darlehn aufnimmt, um mit diesem Gelde seine Maitresse
zu bezahlen, so wird die Rechtsordnung gewöhnlich dem
Darlehn nichts anhaben können, es müßte denn sein, daß
beide Teile in gemeinsamer Wirksamkeit dem unsittlichen
Ziele entgegenstreben.
Ganz anders verhält es sich mit der Rechtsausübung.
In die Rechtsausübung hat die Rechtsordnung regelmäßig nicht
weiter hinein zu reden, und ob sie sittlich oder unsittlich ist,
will und kann die Rechtsordnung nicht überwachen. Wohin
1) Ich habe ihn entwickelt im Juristischen Literaturblatt XI S. 57
in der Besprechung Steinbachs. Trotzdem ist er vielfach unbeachtet
geblieben.