II. 2. Wohnsitz. $& 101. 275
hangs widerspräche. Darum ist nicht das gleiche anzunehmen
für das Gesinde oder für andere Personen, welche nicht in
einem Familien-, sondern in einem Dienst- oder Arbeitsver-
hältnis stehen: sie erwerben ihren Wohnsitz am Arbeitsort nur
dann, wenn sie dahin ihre Angelegenheiten verlegen, was
durchaus nicht immer der Fall ist: sehr wohl können sie
auch, wenn sie mit dem Arbeitsherrn in Wohnungsgemeinschaft
stehen, die Leitung ihres Vermögens anderen Personen an
anderen Orten überlassen, sodaß sie von ihrem Arbeitsorte aus
höchstens einige Direktiven geben.?)
V. Ist ein Aufenthalt an einem bestimmten Orte recht-
lich oder tatsächlich geboten, so ist damit dieser Ort noch nicht
zum Wohnsitz erhoben, es müßte denn sein, daß die Person
die Lenkung und Leitung ihrer Angelegenheiten an diesen
Ort hin verlegt hat. Hiernach ist zu entscheiden, ob die
Wahl eines Sanatoriums, einer Heilanstalt die Verlegung des
Wohnsitzes enthält. Das kann der Fall sein, wenn z. B.
jemand jahrelang nach Davos oder nach der Riviera über-
gesiedelt ist. Ist aber nur etwa ein Aufenthalt von mehreren
Monaten geplant, dann wird regelrecht anzunehmen sein, daß
der Kranke die Lenkung seiner Verhältnisse da ließ, wo sie
war und von seinem Aufenthalt aus nur gewisse Direk-
tiven gibt.) Und in gleicher Weise muß der Zwangsaufent-
halt in einer Strafanstalt angesehen werden. Der Umstand,
daß der Haftling durch Zwang festgehalten wird, ist kein
Grund dafür, hier den Wohnsitz auszuschließen. Es kommt
wesentlich darauf an, ob er die Lenkung seiner Angelegen-
heiten behält und sie an den Ort seiner Verhaftung mit
überführt, was z. B. bei einer mehrjährigen Festungshaft die
Regel sein wird.
VL Jemand kann zwei Wohnsitze haben, sofern seine
Angelegenheiten in mehrere streng geschiedene Kreise geteilt
sind mit verschiedener Lenkung und Leitung. In diesem Fall
') Vgl. bayrisches Oberstes L.G., 20. Dezember 1900 Mugdan II,
S. 71, O.L.G. Dresden, 1. Mai 1900, ebenda S. 443, O.L.G. Karlsruhe,
29. Mai 1901 Mugdan IU, S. 36, auch O.L.G. Dresden, 26. März 1900
Mugdan II, S. 444.
®) Vgl. darüber O.L.G. Karlsruhe, 6. Dezember 1900 Mugdan II,
S. 445, aber auch Oldenburg, 1. März 1899 Seuffert LV, No. 64.
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