Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

lI. Abschn. Leibliche Personen. Verschollenheit. $ 114. 987 
wenn die Person in Beziehungen steht, welche in regelmäßigen 
Fällen Nachrichten erwarten lassen und solche Nachrichten 
nicht eintreffen. Die der Verschollenheit eigene Ungewißheit 
kann aber auch schon durch die Umstände des Verschwindens 
hervorgerufen werden, wie z. B. bei der See-Verschollenheit 
wenn die Person sich auf einem untergegangenen Schiff be- 
fand, und bei der Gefalırverschollenheit, sobald es sicher ist, 
daß sie in eine Gefahr geraten war.') 
IH. Verschollenheit ist eine Rechtslage, aus welcher schon 
an sich Rechtsfolgen hervorgehen können, so die Rechtsfolge 
des & 927 (Aufgebotsverfalhren), $ 1884 B.G.B. (Aufhebung 
der Vormundschaft). Viel wichtiger aber ist sie als Ausgangs- 
punkt für die Todeserklärung. 
II. Die Systeme im Falle der Verschollenheit zielen 
entweder dahin, die Wahrscheinlichkeit des Todes ähnlich 
dem Tode selber wirken zu lassen, sodaß man unter Er- 
forschung der individuellen Verhältnisse möglichst den Augen- 
blick des Todes ausfindig macht (Todesvermutung) und sodann 
diesen Zeitpunkt als den für den Eintritt des Aushülfsrechts 
maßgebenden erklärte. Das ist offenbar das rationellste 
System, es ist im Bürgerlichen Gesetzbuch angenommen und 
wird die Welt erobern.”) Daneben gibt es noch zwei andere 
Systeme. Das eine System, das aus Italien stammt, dann 
aber auch in der sächsischen Praxis auftauchte, zielt dahin, 
den Augenblick, in welchem mindestens der Tod als einge- 
treten zu betrachten ist, zum maßgebenden Zeitpunkt zu er- 
klären. So hat man früher das 100. Jahr, später das 70. Jahr 
des Verschollenen als entscheidend angenommen, nicht als ob 
man es vernünftigerweise für wahrscheinlich hielt, daß der 
') Für die Verschollenheit ist also eine Abwesenheit unter Um- 
ständen, welche den Tod wahrscheinlich machen, erforderlich: eine sonstige 
Abwesenheit, auch mit Mangel an Nachricht, genügt nicht; z. B. wenn 
der Ehemann ein Neger ist, der, weil ihm die Kulturluft nicht behagt, 
in die Wälder zurückkehrt, oder wenn jemand sich sündenbeladen von 
der Welt absondert und in der Wüste verbirgt. Verschollenheit liegt 
erst vor, wenn die Abwesenheit unter Umständen fortdauert, welche den 
Tod wahrscheinlich machen. 
®) Über die verschiedenen Systeme s. Enzyklopädie I S. 572. Eine 
historische Darstellung soll anderwärts erfolgen.
	        
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