Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

III. Abschn. Latente Rechtshandlungen. $ 255. 581 
II. Ich spreche hier von latenten Rechtsgeschäften, weil 
regelrecht die Tätigkeit keinen Rechtsgeschäftscharakter an 
sich trägt und darum auch den Normen des Rechtsgeschäfts 
nicht unterliegt. Imsbesondere tritt der Erwerb auch dann 
ein, wenn die Persönlichkeit geschäftsunfähig war, wie z. D., 
wenn ein entmündigter Geisteskranker eine Erfindung macht 
oder Romane schreibt oder Bilder malt oder einen Hasen 
schießt, oder wenn ein solcher Geisteskranker die vertrags- 
mäßigen Dienstleistungen vollzieht. 
III. Nur ausnahmsweise berühren diese latenten Rechts- 
handlungen das Gebiet des Rechtsgeschäftes; die zu 
1. insofern, daß sie eine Stellvertretung zulassen, aber auch 
hier in der Art, daß die Stellvertretungserklärung ebensowenig 
der Geschäftsfähigkeit bedarf als die Tätigkeit selbst, wie 
wenn z. B. ein entmündigter Geisteskranker in einer Fabrik 
arbeitet und hier Verarbeitungen (Spezifikationen) vornimmt. 
Die Erfüllung aber (zu 2.) berührt den Kreis des Rechts- 
geschäftes dadurch, daß der Eıfüllende erklären kann, daß 
etwas, was Erfüllung sein könnte, nicht Erfüllung sein soll, 
oder dab es zwar zur Erfüllung werden, aber nicht diejenige 
Schuld erfüllen soll, die gesetzlich an der Reihe ist, sondern 
eine andere. Darüber ist ein Schuldrecht II S. 186f. näher 
zu handeln. 
IV. Zu diesen latenten Rechtsgeschäften gehört auch 3. die 
Verwendung und Aufwendung. Sie gehören dahin, insofern als 
jemand absichtlich geliandelt hat, um die notleidenden Inter- 
essen eines anderen zu wahren, oder als er gehandelt hat, 
um gemeinsam eigene und fremde Interessen zu schützen: 
denn in diesem Falle wird er anders behandelt, als wenn er 
absichtslos Aufwendungen gemacht hat, etwa in der Meinung, 
damit für seine eigenen Interessen tätig zu sein.!) In solchem 
Falle kommt das rechtsgeschäftliche Element nach beiden Seiten 
wöhnliche entgegengesetzte Meinung eine tief greifende Wandelung er- 
fahren muß, wie oben. Eine vollständige Verneinung des Rechtsgeschäfts- 
charakters ist unrichtig, und das war der Beweggrund, der mich zur An- 
nahme der Rechtsgeschäftsnatur geführt hat; doch bin ich einstens zu 
weit gegangen, weil ich den Begriff der latenten Rechtshandlungen noch 
nicht aufgefunden hatte, 
?) Enzyklop. I, S. 702f.
	        
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