Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

1Il. Abschn. Latente Rechtishandlungen. $ 255. 583 
nichtigen Gesellschaft noch nicht die Begründung einer neuen, 
die Unterhandlung mit einem Versicherten nach Verfall der 
Versicherung noch kein Verzicht auf die durch den Verfall 
erlangten Rechte!) Dagegen liegt in der vorbelaltlosen 
Annahme der verspäteten Zahlung ein Verzicht auf das Recht, 
wegen Verspätung zu kündigen, — dann natürlich, wenn die 
vorbehaltlose Annahme unter den bezeichneten Umständen 
stattgefunden hat.‘) 
Vl Zu bemerken ist, daß in vielen Fällen, wo ein bloßer 
sozialer Vorgang eine Rechtsfolge hervorbringt, die Rechts- 
ordnung von der Überzeugung ausgeht, daß in der Regel eine 
bestimmte seelische Richtung vorliegt, so daß in dem Vorgang 
meistens die Bedingungen einer stillschweigenden Willens- 
erklärung gegeben sind. Das ist auch der Ausgang gewesen, 
der zu solchen Rechtssätzen geführt hat, welche gewisse Rechts- 
folgen an einen sozialen Vorgang anknüpften; allein die Rechts- 
ordnung ging häufig aus praktischen Gründen darüber hinaus 
und verband ohne Rücksicht auf solche seelische Erscheinungen 
einen bestimmten Reclhtsvorgang ınit gewissen rechtlichen 
Ergebnissen. Dadurch wurde der Vorgang dem Kreise der 
Rechtshandlungen entzogen und als ein bloßes Rechıtsereignis, 
als ein sozialer Naturvorgang, charakterisiert. Das bekannteste 
Beispiel ist $ 39 Z.P.O, („stillschweigende“ Prorogation). 
!) R.G. 31. Januar 1903, J. Wochenschr. 1908 S. 42, 8. Mai und 
9, Juli 1901, Recht VII S. 77. 
2) Vgl. O.L.G. Hamburg, 20. April 1901 Seuffert, 57, Nr. 30.
	        
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