Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

450 90. Thorwaldsen im Knorrkeller. 
Wir können uns der Erinnerung an dasselbe mit ganzem Herzen freuen; 
denn die Künstlerfeste, deren Reigen eben jenes Dürerfest so glänzend eröffnete, 
sind in München bis heute heimisch geblieben. Mag auch im Laufe der Zeit 
mancher Gegensatz in den einzelnen Lagern der Münchener Künstlerschaft sich 
herangebildet haben, gilt es ein solches Fest, so treten sie alle zu fröhlichem 
Beginnen zusammen. Und wie damals nehmen heute alle Kreise der Bevöl-= 
kerung Münchens an ihnen genießend Anteil und freuen sich der Fülle von 
Schönheit und von jugendfrischem Humor, der in ihnen lebt. Und dieses Erbteil 
aus der Frühlingszeit der Münchener Kunst wird auch in Zukunft weiter blühen. 
90. Thorwaldsen im Knorrheller. 
München, 20. Juli 1841. 
Von Ludwig Steub.)) 
Wer sich unter dem Sommerkeller eines Münchener Bräuers etwa einen 
Keller vorstellen wollte, wie ihn die übrige Welt auch hat, der befände sich 
in einem großen Irrtum. Es sind dies keine von jenen kleinen Grüften, wo“ 
die Hausfrau ihre Weinfäßchen aufstapelt und ihr Flaschenbier, sondern viel- 
mehr ungeheure Gewölbe, in die man allenfalls vierspännig einfahren kann 
und die auf ihrem Rücken mächtige Gebäude, wie Edelsitze und Schlösser, tragen, 
welche weit rankende Arme ausstrecken, mit Sommerwohnungen für den Eigen- 
tümer, kühlen Hallen für die heißen Sommertage und netten gemalten Zimmerchen 
für die Stammgäste. Diese Burgen stehen in einem weiten Gehöft, das gar 
Mannigfaltiges aufzuweisen hat. So vor allem die vielen Ruhebänke für die 
labedurstigen Gäste, malerisch auf die schönsten Plätze hingestellt, unter das 
Dach alter Linden oder stolzer Kastanienbäume. Ferner gehört ein kleiner Wald 
dazu, durch welchen einsame Kiespfade ziehen oder auch die breite Heerstraße 
für die Bierwagen. Im Gehölze selbst aber finden sich Blumengärtchen, Rosen- 
hecken, Stachelbeergebüsche, grünes Geländer, ländliches Treppenwerk, stille, 
stimmungsvolle Lauben und endlich auch eine wundervolle Aussicht über die 
Münchener Hochebene ins Abendrot oder auf die blauen Züge der fernen Alpen. 
In einem solchen Keller nun, und zwar in einem der schönsten, bereiteten 
am Abend des 20. Juli 1841 die Künstler Münchens dem großen Thorwaldsen 
ein Fest. Der lange Sommertag begann sich zu neigen und der Keller mit 
Haus und Hof, Garten und Wald, reichlich geschmückt mit Laubbögen zu ebener 
Erde, mit wallenden Flaggen auf den Zinnen, war voll harrender Verehrer, 
voll von Jüngern der Kunst aus allen deutschen Gauen, voll von anderen Herren 
und Damen und voll lieber Jugend. 
Ein sanfter Anstieg führt aus der waldigen Talenge, welche die Einfahrt 
bildet, allmählich hinauf gegen die kleine Hochebene. Dort sammelte sich nun, 
1) „Kleinere Schriften“, IV. Band, S. 1 f. Stuttgart 1875, Cotta.
	        
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