100. Burg Hohenschwangan. 479
und so ist die schöne Landschaft gleichsam erfüllt von schönen Gestalten, von
jenem Reichtum der Begebenheiten, der sie in vollem Maße zur historischen
Landschaft macht. Den feinen und nachhaltigen Reiz, den dieser Umstand
verleiht, wird kein Gebildeter verkennen; dadurch allein gewinnt die Betrachtung
immer wieder neue Seiten; die geistige Beleuchtung, in der wir eine Ortlichkeit
erblicken, ist ja nicht minder wirksam als die Beleuchtung, die vom Himmel
auf sie fällt.
Wer zum erstenmal in jene Gebiete kommt, wird überrascht durch die
mächtigsten Gegensätze. Es ist die Grenze, wo bayerisches und schwäbisches
Volkstum seit uralter Zeit ineinander greisen; alamannische Art, die bedächtiger,
kühler, berechnender ist, hat schon das rauhere, kühne Wesen des bayerischen
Gebirgscharakters gedämpft. Und wie die Völkerstämme — grundverschieden
— hier ineinandergreifen, so stößt ebenda die breite, volle Ebene an die
gewaltige Bergeswildnis. Wer den Blick hinaussendet, sieht weit in niederes,
fruchtschweres Land; wer ihn bergwärts wendet, sieht hart vor sich die himmel-
ragenden Wände, grüne Tannenwälder und, zu ihren Füßen eingeschlossen,
zwei blaue Seen, die den Burgfelsen bespülen.
Den eigentlichen Schlüssel der Landschaft aber, den mächtigen Angelpunkt
derselben bildet der Durchbruch des Lech bei Füssen (Fauces Alpium), der
einen der ältesten Wege und Engpässe zwischen Deutschland und Welschland
bezeichnet. Seine Bedeutung war schon dem großen Gotenkönige Theodorich
bewußt, der die strengste Bewachung desselben befahl; an den Namen Füssen
knüpfen sich auch die Taten des Mannes, der als geistiger Held dieses Land
dem Christentum gewann. Es war der heilige Magnus, dessen Kelch und
Stab noch heute daselbst verwahrt werden.
Wie eine holde Idylle lag waldversteckt und abseits von dem mächtigen
Heerwege die Burg Hohenschwangau. Es war nicht bloß eine, es waren
mehrere Burgen, die übereinander standen, und es scheint kaum zweifelhaft, daß
ehedem ein römischer und ein gotischer Wartturm daselbst gewesen. Aber mehr
und mehr streift bald die Weltgeschichte das waldumsäumte Idyll; seine
Schönheit mag der Pinsel des Malers schildern; wir aber wollen erzählen
von den Taten, die sich unvergeßlich mit dieser Scholle verbinden.
Aus ihrer dämmernden Einsamkeit treten uns bereits im 10. Jahrhundert
die ersten Urkunden entgegen. Als Kaiser Otto III. im Jahre 997 nach
Italien zog, hielt er hier seine Rast; auf Hohenschwangau empfing Anno 1004
Kaiser Heinrich II., der Heilige, die Gesandten des Ungarnkönigs Stephan.
Als gebietender Name tritt uns in den vergilbten Pergamenten jener Zeit das
uralte Welfenhaus entgegen, das in diesen Gauen vor allem begütert war,
und als Urkundszeugen finden wir die Schwangauer unterzeichnet, die den
berühmten Bischof Wicterp von Augsburg (750) unter ihre Ahnherren zählten.
Am berühmtesten unter ihnen aber ist wohl Hiltebold von Schwangau
geworden, der gefeierte Minnesänger, dessen Siegel mit dem Schwane uns nicht