Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

$ 10. Das Subjekt der Reichsgewalt. 97 
che die Errichtung des Bundesstaates herbeiführten, waren Akte dieser 
Staatspersönlichkeiten !). Durch den Eintritt in den Bund gaben sie wohl 
ihre Souveränität, aber nicht ihre staatliche Persönlichkeit auf; ihre 
rechtliche Individualität dauerte kontinuierlich fort und wurde die 
Grundlage der bundesstaatlichen Gesamtperson. Mitglieder des 
Reiches sind daher nicht die einzelnen Bürger und sie sind auch nicht 
zusammengenommen Träger der Reichsgewalt; Mitglieder des Reiches 
sind vielmehr die einzelnen Staaten?. Das Deutsche Reich 
ist nichteine juristische Person von stetssich ver- 
mehrenden Millionen Mitgliedern, sondern von 25 
Mitgliedern?) 
Diese Mitglieder sind an der Reichsgewalt ebenso mitbeteiligt, wie 
es in der Demokratie die vollberechtigten Staatsbürger an der Staats- 
gewalt sind. Das Deutsche Reich ist keine Monarchie in dem staats- 
rechtlichen Sinne dieses Wortes, d. h. Träger der Souveränität des 
Reiches sind die sämtlichen Mitglieder des Reiches, nicht der Kaiser‘). 
Mit Ausnahme der freien Städte sind alle deutschen Staaten Mo- 
narchien; die Landesherren sind daher die Träger der Staatsgewalt 
und als solche üben sie auch die Mitgliedschaftsrechte im Deutschen 
Reich, den Anteil ihrer Staaten an der Reichsgewalt aus. In den freien 
Städten sind die Bürgerschaften das Subjekt der Staatsgewalt und als 
solche Mitglieder des Reiches und die Senate die zur Ausübung dieser 
Rechte befugten Organe. 
In diesem Sinne kann man daher sagen, daß die deutschen 
Fürsten und die Senate der freien Städte in ihrer Ge- 
samtheit die Träger oder Inhaber der Reichssouveränität sind. Der 
Ausdruck kann aber zu einer mißverständlichen Auffassung führen °). 
1) Diesen tatsächlichen Vorgängen wird Jellinek.a.a. O. S. 256 ff. nicht ge- 
recht. Er hat freilich Recht, wenn er sagt, daß „das deutsche Volk keine Schöpfung 
des preußischen, bayerischen, sächsischen Staatswillens ist“, aber die staatliche 
Einheit des deutschen Volkes, soweit sie gegenwärtig realisiert ist, ist allerdings 
die Schöpfung dieser Staatswillen. 
2) Die Reichsverfassung, Art. 6, zählt diese „Mitglieder des Bundes“ auf. 
Vgl. auch Art. 7, 19, 41, Abs. 1. 
3) Man kann dies nur dann sonderbar finden, wenn man Mitglieder mit Unter- 
tanen verwechselt. Das Reich beherrscht nicht bloß die 25 Staaten, sondern auch die 
in denselben staatlich zusammengefaßten Untertanen. 
4), Fürst Bismarck: „Die Souveränität ruht nicht beim Kaiser, sie ruht bei 
der Gesamtheit der verbündeten Regierungen.“ (Stenogr. Bericht des Reichstags 1. 
Sitzungsperiode 1871, S. 299.) In der Literatur herrscht darüber volles Einverständ- 
nis — ausgenommen allein v. Ruville —, daß der Kaiser nicht Souverän des 
Reiches ist; wenn trotzdem zahlreiche Schriftsteller das Reich als einen „monarchi- 
schen Bundesstaat“ bezeichnen oder ihm einen „monarchischen“ Charakter, eine „mo- 
narchische“ Spitze zuschreiben, so wird das Wort nicht im staatsrechtlichen 
Sinne gebraucht. 
5) Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes S. 60, Notel, 
spricht dieses Mißverständnis ausdrücklich aus, indem er sagt, daß unter den Bun- 
desgliedern oder Mitgliedern des Bundes nicht die Bundesstaaten, sondern
	        
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