& 11. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich. 103
während das Reich diejenigen Rechte ausübt, welche der souveränen
Staatsgewalt den Selbstverwaltungskörpern gegenüber gebühren, näm-
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in Preußen durch das reaktionäre Ministerium in den Jahren von 1852—1859, also
kurz nach Einführung der konstitutionellen Verfassung in schärfster Weise zum all-
gemeinen Bewußtsein gebracht. Diese rücksichtslose Parteiregierung entsprach dem
konstitutionellen Ideal vollkommen, da sie die überwiegende Mehrheit beider Häuser
des Landtages auf ihrer Seite hatte. Um dieser üblen Folge des Konstitutionalismus
entgegenzuwirken, suchte man Schutzmittel gegen dieselbe. Dazu war an und für
sich jede Einrichtung geeignet, welche die Zuständigkeit und Machtbefugnis des
Ministers beschränkt. Die hierzu dienenden Mittel sind sehr zahlreich und von sehr
verschiedenem juristischen Charakter. Da sie aber alle demselben politischen Zwecke
dienen, nämlich dem konstitutionellen Minister-Absolutismus Schranken zu setzen
und die Gefahr einer rücksichtslosen Parteiregierung und willkürlichen Gesetzesinter-
pretation zu verhüten, so hat man sie unter einen und denselben politischen
Gesichtspunkt gebracht, sie zu einem „System“ verknüpft. Dafür brauchte man auch
einen einheitlichen Ausdruck, ein politisches Schlagwort. Unter dem Einfluß von
Gneist, der in der Reaktionsperiode der fünfziger Jahre mit Energie und bahn-
brechendem Erfolge die Gefahren der konstitutionellen Parteiregierung und mini-
steriellen Allgewalt darlegte und durch seine Werke über das Englische Verfas-
sungsrecht die Mittel zur Abhilfe zeigen wollte, ist dafür der dem englischen Worte
selfgovernement nachgebildete Ausdruck „Selbstverwaltung“ üblich geworden. Man
sprach von einem „System der Selbstverwaltung“ und nahm in dasselbe nicht bloß
die Uebertragung der staatlichen Verwaltungsgeschäfte an Kommunalverbände — wie
sie durch die Steinsche Städteordnung erfolgt war —, sondern auch die Dezen-
tralisation der Verwaltung, die Verwendung von Ehrenbeamten, die Be-
setzung gewisser Aemter durch Wahl, die Zuziehung von Laien zur Erledigung
von Staatsgeschäften, die Einrichtung von Verwaltungsgerichten auf. Da-
durch ist der Ausdruck Selbstverwaltung ein vieldeutiger, unbestimmter und ver-
schiedene Dinge umfassender geworden: ja man ging so weit, jede Betätigung indi-
vidueller Willensfreiheit und jede irgendwie geartete Schranke bureaukratischer
Macht als Bestandteil oder Aeußerung „der Selbstverwaltung“ anzusehen. Es ist nicht
zu verwundern, daß auch in den Gesetzen selbst, durch welche die Reform der
inneren Verwaltung erfolgte, der Ausdruck in einem juristisch unpräzisen Sinne ver-
wendet wurde, und daß noch gegenwärtig in der deutschen staatsrechtlichen Litera-
tur eine große Verschiedenheit der Ansichten besteht. Namentlich ist noch immer
die Ansicht verbreitet, daß das entscheidende Kriterium der Selbstverwaltung das
Ehrenamt sei. Allein dies ist völlig unhaltbar. Nur ein sehr kleiner Teil der Be-
amten der Selbstverwaltung ist unbesoldet, die überwiegende Mehrzahl besteht aus
angestellten Berufsbeamten, und andererseits werden in der unmittelbaren Staats-
verwaltung in großer Zahl auch unbesoldete Beamte verwendet. Es hängt dies so-
wohl in der Selbstverwaltung als auch in der Staatsverwaltung davon ab, ob man
erwarten kann, in genügender Zahl geeignete Personen zu finden, welche die frag-
lichen Aemter unentgeltlich führen, und ob man sich durch Versagung der Besol-
dung nicht die Auswahl in nachteiliger Weise beschränkt. Mit Ehrenbeamten allein
kann die Selbstverwaltung ebensowenig auskommen wie die unmittelbare Staatsver-
waltung.
Selbstverwaltung bedeutet seinem Wortsinne nach den Gegensatz zum Ver-
waltetwerden; wird von einer Körperschaft ausgesagt, daß sie selbst verwaltet, so
setzt das stillschweigend immer eine höhere Macht voraus, von der sie auch verwaltet
werden könnte. Der Begriff ist daher unanwendhar auf die höchste, oberste, sou-
veräne Macht, da bei ihr ein Verwaltetwerden unmöglich und undenkbar ist. Da-
gegen findet dieser Begriff der Selbstverwaltung überall da Anwendung, wo eine
obere Gewalt die ihr zustehenden Hoheitsrechte nicht unmittelbar mittelst eines