8 11. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich. 109
gemäße Auskunft zu geben!). Dieses Aufsichtsrecht ist also keineswegs
inhaltlos oder ein selbstverständlicher Bestandteil des Gesetzgebungs-
rechts.
III. Die Beaufsichtigung besteht in der Beobachtung des der Auf-
sicht Unterworfenen zum Zweck der Feststellung, ob er die ihm ob-
liegenden Pflichten richtig erfüllt oder sie durch Handlungen oder
Unterlassungen verletzt?. Diese Pflichten sind im Verhältnis der
Einzelstaaten zum Reich wie in allen Herrschaftsverhältnissen die
Pflicht des Gehorsams und der Treue.
Die Gehorsamspflicht setzt einen Befehl voraus, den der Unter-
gebene zu befolgen hat. Daher ist der Gegenstand der Beaufsichtigung
verschieden, je nachdem eine Materie reichsgesetzlich geregelt ist oder
nicht. Ist ein Reichsgesetz erlassen, so sind die Behörden der Einzel-
staaten zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet; sie sind dem Ge-
setzesbefehl des Reichs Gehorsam schuldig und die Beaufsichtigung ist
darauf gerichtet, ob sie das Gesetz befolgen und wie sie es zur Aus-
führung bringen. Fehlt es dagegen an einem Reichsgesetz, so kann
der Einzelstaat eine Gehorsamspflicht nicht verletzen, er kann aber
durch sein Verhalten die Interessen des Reichs gefährden und dadurch
gegen die Treuverpflichtung verstoßen; z. B. durch Störung der Be-
ziehungen des Reichs zu auswärtigen Staaten oder des friedlichen Ver-
hältnisses unter den Bundesgliedern oder durch Entgegenwirken gegen
die Tendenz der Reichspolitik. Hier beschränkt sich die Reichsaufsicht
darauf, daß die Einzelstaaten ein solches Verhalten unterlassen.
Da solche Fälle der Felonie tatsächlich nicht leicht vorkommen
und fast alle zur Zuständigkeit des Reichs gehörenden Angelegenheiten
jetzt durch Reichsgesetze und Reichsverordnungen geregelt sind, so
hat die Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze fast allein
noch praktische Bedeutung.
Der Begriff der Beaufsichtigung wird durch folgende Sätze näher
bestimmt.
1. Die Beaufsichtigung richtet sich ausschließlich gegen die Einzel-
staaten. Zwar sind auch die Reichsbehörden zur Befolgung der
Reichsgesetze verpflichtet und unterliegen der Beaufsichtigung, daß sie
diese Pflicht erfüllen; aber diese Beaufsichtigung ist Dienstaufsicht,
nicht Reichsaufsicht; ihr Rechtsgrund ist die durch die Unterordnung
der niederen Behörde unter die übergeordnete begründete Dienstpflicht,
nicht die durch die Verfassung begründete Gehorsamspflicht der Einzel-
1) Der Verf.Entw. v. 15. Dez. 1866 enthielt im Art. 5 die Bestimmung: „Die
Handhabung der Gesetze, welche gegenwärtig innerhalb des Bundesgebiets über die
im Art. 4 benannten Gegenstände in Gültigkeit sind, unterliegt der Aufsicht des
Bundes.“ Diese Gesetze waren Landesgesetze. Das Wort „Beaufsichtigung“ an der
Spitze des Art. 4 der RV. ist das Rudiment des Art. 5 des Entwurfs. Vgl. ferner die
Bemerkung des Abg. Schwarz im verfassungsgeb. Reichstage. Stenogr. Berichte
S. 315, gegen welche von keiner Seite ein Widerspruch erhoben wurde.
2) Kiefer S. 7.