8 11. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich. 113
Der Exekutionsbeschluß des Bundesrats enthält ein Verdikt, daß ein
Bundesmitglied seine verfassungsmäßige Gehorsamspflicht gegen das
Reich schwer verletzt). M
V. Das Organ, durch welches das Reich die Aufsicht führt, ist der
Kaiser. Art. 17 der RV. bestimmt dies zwar nur für die Ueberwachung
der Ausführung der Reichsgesetze, während Art. 4 nichts darüber sagt,
von wem und wie die Beaufsichtigung ausgeübt werden soll, sondern
nur die Angelegenheiten aufzählt, auf welche sie sich erstreckt. Aber
auch die im Art. 4 begründete, weiter reichende Beaufsichtigung kann
nur vom Kaiser ausgeübt werden; denn sie gehört zu den Geschäften
der Reichsregierung, also zu den dem Kaiser zustehenden Funktionen.
Daneben besteht die erwähnte Befugnis des Bundesrats zur Beschluß-
fassung im Falle eines Aufsichtskonflikts und das Recht des Reichs-
tages, Verletzungen der Reichsgesetze zum Gegenstande seiner Ver-
handlungen zu machen. Da die Regierungsgeschäfte des Kaisers in
seinem Auftrage vom Reichskanzler geführt werden, so gehört die Be-
aufsichtigung der Einzelstaaten zu den Amtsgeschäften des Reichs-
kanzlers und er ist für dieselbe verantwortlich. Der Reichskanzler
kann nur durch einen Generalstellvertreter (Vizekanzler) in dieser
Funktion vertreten werden; die Ressortchefs der eigenen Verwaltungen
des Reichs können eine Aufsicht über die Einzelstaaten nicht führen,
da die letzteren in diesen Angelegenheiten überhaupt keine Zuständig-
keit haben und Reichsgesetze nicht verletzen können’).
Ausgeschlossen ist der Reichskanzler durch Art. 63 Abs. 3 der RV.
von der Beaufsichtigung des Zustandes der Kontingente des Heeres
und der Anordnung der Abstellung von Mängeln, da dieses Recht in
der Kommandogewalt (dem Oberbefehl) des Kaisers enthalten ist.
Durch zahlreiche Gesetze ist die Art, wie die Aufsicht zu führen
ist, für die einzelnen zur Zuständigkeit des Reichs gehörenden Ange-
legenheiten geregelt. Dies kann nur im Zusammenhang mit der Dar-
stellung dieser Materien näher erörtert werden. Hier ist nur darauf
hinzuweisen, daß abgesehen von der allgemeinen subsidiären Kompe-
tenz des Reichskanzlers die Reichsgesetzgebung zwei verschiedene
Systeme von Aufsichtsorganen geschaffen hat. Das eine besteht darin,
daß bestimmten Reichsbehörden neben anderen Geschäften die Auf-
sicht über die für die gleichen Angelegenheiten bestellten Landesbe-
hörden übertragen ist; dahin gehören die Normaleichungskommission
und die physikalisch-technische Reichsanstalt, das Reichseisenbahnamt,
das Reichsversicherungsamt u. a. Das andere System besteht darin,
daß den Landesbehörden Reichskommissare beigegeben werden, welche
von dem Verfahren der Landesbehörden fortdauernd Kenntnis nehmen
und im Falle sie Verstöße gegen die Reichsgesetze wahrnehmen, an
die vorgesetzte Reichsbehörde, event. an den Reichskanzler darüber
1) Schilling a. a. O. S. 77 ff.
2) Siehe unten $ 40 III.