8 12. Die Rechte der Einzelstaaten. 115
diplomatischen und militärischen Schutz gegen Rechtsverletzungen
seitens des Auslandes und seitens anderer Bundesstaaten und der An-
spruch, daß das Reich die ihm obliegende Pflege der Wohlfahrt des
deutschen Volkes allen zum Reiche gehörenden Teilen gleichmäßig
angedeihen läßt).
Entsprechend diesen Rechten der Einzelstaaten auf den Schutz
und die Wohlfahrtspflege seitens des Reichs sind die Pflichten des
Einzelstaates zur anteilsmäßigen Tragung der militärischen und finan-
ziellen Lasten.
Aber auch nach einer anderen Richtung enthält die Mitglied-
schaft Rechte der Einzelstaaten, indem dieselben beteiligt sind an den
Organen, durch welche das Reich seinen Willen äußert und betätigt.
Hierhin gehört das Recht jedes Staates auf diejenige Anzahl von Stim-
men im Bundesrat, welche nach dem im Art. 6 festgestellten Grund-
satz ihm zukommen, und der Anspruch, daß die von ihm abgegebene
Abstimmung bei der Feststellung der Beschlüsse des Bundesrats Be-
rücksichtigung findet. Ferner das Recht jedes Staates auf anteilmäßige
Vertretung seiner Bevölkerung im Reichstage nach Maßgabe des dem
Reichswahlgesetz zugrunde liegenden Wahlsystems. Endlich das Recht
jedes Staates, daß seine Angehörigen unter den gleichen Bedingungen
wie die Angehörigen der anderen Staaten zur Bekleidung von Reichs-
ämtern befähigt, daß sie von denselben nicht grundsätzlich ausge-
schlossen sind.
Aus der Natur dieser Rechte als unmittelbarer Wirkungen der
Reichsverfassung ergeben sich zwei Rechtssätze.
1. Die Rechte der Einzelstaaten ändern sich mit jeder Aenderung
der Verfassung, ja auch ohne Abänderung der Verfassungsurkunde in-
folge der dem Reiche zustehenden Gesetzgebung?) Es ist demgemäß
der Inhalt der Mitgliedschaftsrechte ein stets wechselnder. Bestimmt
wird derselbe einseitig vom Reich durch die von ihm ausgehen-
den Willensakte, welche teils im Wege der verfassungsändernden, teils
im Wege der einfachen Gesetzgebung, teils auch im Wege eines Be-
schlusses des Bundesrats, soweit die Kompetenz des letzteren sich er-
streckt, erfolgen können. Der einzelne Staat kann nur durch seine
Abstimmung im Bundesrat auf die Erhaltung oder Erweiterung seiner
Rechte oder auf die Einschränkung seiner Pflichten hinwirken; hat
das Reich seinen Willen in verfassungsmäßiger Weise erklärt, so ist
l) Eingang zur Reichsverfassung. Ob man diesen Anspruch als ein subjektives
Recht oder als „Reflexwirkung objektiven Rechts“ ansieht, wie Jellinek, System
S. 299 ist für die Sache selbst ohne Belang, da es an einem Rechtsmittel zur
Geltendmachung des Anspruchs jedenfalls gebricht und der verpflichtende objektive
Rechtssatz der Reichsverfassung und die auf ihm beruhende subjektive Verpflichtung
des Reichs den gleichen Inhalt haben.
. 2) Beispiele dafür sind sehr zahlreich; fast alle Finanzgesetze, die Gesetze über
die Arbeiterversicherung, die Militärgesetze, die Konsulatsgesetzgebung u. s. w. können
dafür angeführt werden.