118 S 12. Die Rechte der Einzelstaaten.
der Verfassung, sondern Modifikationen derselben). Immer handelt
es sich dabei um Rechte der Mitglieder in deren Verhältnis zur Ge-
samtheit, nicht um Rechte, welche den einzelnen Staaten außer aller
Beziehung zum Reiche zustehen. Man könnte daher wohl auch die
Sonderrechte als eine Unterart der Mitgliedschaftsrechte bezeichnen;
jedoch sind sie nicht ohne weiteres in der Mitgliedschaft enthalten,
sondern sie bedürfen eines besonderen Titels. Dieser Titel kann
entweder ein Vertrag zwischen dem Reich und dem Einzelstaat sein
oder ein legislatorischer Akt des Reiches, und der letztere wieder in
dreifacher Abstufung, entweder eine Bestimmung der Verfassung, oder
ein einfaches Gesetz oder ein Beschluß des Bundesrats innerhalb der
demselben zustehenden Kompetenz?). Diese Form ihrer Begründung
ist von Einfluß hinsichtlich der Form, welche zu ihrer Aufhebung
erforderlich ist.
Ihrem Inhalte nach sind die Sonderrechte:
1. Beschränkungen der Kompetenz des Reiches,
indem einzelnen Staaten Hoheitsrechte vorbehalten sind, welche hin-
sichtlich der übrigen dem Reiche zustehen. Diese Rechte nennt man
daher Reservatrechte?) In der norddeutschen Bundesverfassung
hatten lediglich die Hansestädte das Reservatrecht, daß sie als Frei-
häfen außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze bleiben, bis sie
ihren Einschluß in dieselbe beantragen. Nachdem Lübeck den Ein-
schluß beantragt hat, ist im Art. 34 der Reichsverfassung für Ham-
burg und Bremen dieses Sonderrecht anerkannt worden ‘). Bei
dem Hinzutritt der süddeutschen Staaten zum Reiche haben sich die-
selben folgende Sonderrechte reserviert:
Baden. Die Besteuerung des inländischen [Branntweins und]
Bieres bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten und der Ertrag
dieser Steuern verbleibt Baden).
1) Laband aa. O. S. 1502, 1503. Dieser Begriffsbestimmung ist auch das
Reichsoberhandelsgericht beigetreten. Entscheidungen Bd. 17, S. 147.
2) Vgl. zu dem Folgenden Labanda.a. O. S. 1507 fg.
3) Die Reichsgesetzgebung kennt diesen Ausdruck nicht; es ist daher unzuläs-
sig, aus demselben Rechtsfolgerungen abzuleiten. Zornl, S. 119 nennt diese Rechte
„Ausnahmsrechte“ und stellt sie in Gegensatz zu „Vorrechten“. Die Behauptung von
Hänel, Staatsrecht I, S. 810 fg., daß alle Sonderrechte Kompetenzbeschränkungen
seien, ist m. E. unbegründet. Auf diese Ansicht baut er seine Theorie der Reservat-
rechte auf, die mit dieser Grundlage steht und fällt. Eine Uebersicht über die verschie-
denen theoretischen Ansichten gibt Nirrnheim im Arch. f. öffentl. Recht Bd. 25
S. 579. Seine Ansicht, daß der Begriff des Reservatrechts erfordert, daß durch eine
ausdrückliche Bestimmung der es begründenden Rechtsvorschrift festgestellt
sei, daß es nicht gegen den Willen des berechtigten Staates aufgehoben oder abge-
ändert werden darf, halte ich nicht für richtig und durch seine Ausführungen nicht
für erwiesen.
4) Vgl. das Nähere hierüber unten Bd. 4, 8 120.
5) Reichsverfassung Art. 35, Abs. 2; 38. Siehe unten Bd. 4, 8 121.