Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

122 S$S 12. Die Rechte der Einzelstaaten. 
im Art. 34 der Reichsverfassung, welcher die Aufnahme der Hanse- 
städte in das Zollgebiet von einem Antrage derselben abhängig macht. 
Auch die Bestimmung des Art. 78, Abs. 1, wonach Verfassungsände- 
rungen im Wege der Gesetzgebung zulässig sind, läßt das materielle 
Erfordernis der Zustimmung des berechtigten Staates bei der Auf- 
hebung von Sonderrechten unberührt. In dem badisch-hessischen 
Schlußprotokoll Ziff. 8 wurde dies »allseitig als selbstverständlich« 
konstatiert; dieselbe Bestimmung wurde in das bayerische Verfassungs- 
bündnis Ziff. 5 aufgenommen und später bei der definitiven Redaktion 
der Reichsverfassung dieser als Art. 78, Abs. 2 beigefügt‘. Das Er- 
fordernis der Zustimmung des berechtigten Staates hat damit nichts 
zu tun, daß Vorschriften der Verfassung geändert werden, sondern 
nur damit, daß »bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren 
Verhältnis zur Gesamtheit« verändert oder beseitigt werden sollen. 
Dasselbe gilt daher auch von Sonderrechten, welche nicht in der Ver- 
fassung festgestellt worden sind ?). | 
Hänel, Staatsrecht I, S. 817 ff., führt aus, daß die bei korpora- 
tiven Verbänden bestehende Gestaltung der Sonderrechte durch die 
Souveränität des Staates eine durchgreifende Umwandlung em- 
pfange. Dem souveränen Staat gegenüber gebe es überhaupt keine 
Unverletzlichkeit subjektiver Rechte; nicht das subjektive Recht als 
solches, sondern die Geltung des objektiven Rechtssatzes, auf dem 
das subjektive Recht beruht, könne durch besondere und erschwerte 
Formen der Abänderung gesichert werden. Durch Art. 78, Abs. 2 
seien diejenigen Bestimmungen der Reichsverfassung. welche soge- 
1) Ueber die Kontroverse, welche sich an diesen Satz der Verfassung anknüpft, 
vgl. Labanda.a. O. S. 1487 u. 1516 fg. 
2) Dies bestreiten Hänel und Löning an den oben angeführten Stellen. 
Ihnen haben sich angeschlossen v. Martitz, Zeitschrift für Staatswissenschaft Bd. 32, 
S. 750; v. Rönne ll, S. 44 ff.; Zorn], S. 124fg.; Meyer 8 164, Note 19; An- 
schütz S. 520. In den meisten dieser Darstellungen wird besonders betont, daß 
die von mir entwickelte Theorie aus politischen Gründen sehr verwerflich sei. 
Löning S. 362 erblickt darin „wirkliche Gefahren“ ; v. Martitz erwartet, dass sie 
„polnische Zustände“ herbeiführen werde; Zorn hält den Grundsatz des Art. 78, 
Abs. 2 überhaupt „für eine Anomalie bedenklicher Art“ und verlangt deshalb die 
strikteste Auslegung. Im Gegensatz hierzu hat ein wirklicher Staatsmann und 
zwar derjenige, welcher auf die Feststellung der Reichsverfassung einen maßgebenden 
Einfluß ausgeübt hat, nämlich Delbrück in seiner Monographie über den Art. 40 
der Reichsverfassung, Berlin 1881, S. 2, erklärt: „In Beziehung auf die jura singulo- 
rum bekenne ich mich zu der von Laband vertretenen Ansicht, einer Ansicht, 
welcheichschonbei den Versailler Verhandlungen geltendge- 
macht habe. Eine wiederholte Begründung dieser Ansicht unterlasse ich, teils 
weil die Kontroverse weit über den Kreis hinausgeht, welchen der Art. 40 umfaßt, 
teils weilichkaum etwas anderestunkönnte, als bereits Ge- 
sagtes wiederholen.“ Darnach hat denn auch Gierke (a.a. 0. S. 1171) 
meiner Darstellung Beifall gespendet, und Mejer, Einleitung S. 848, Seydel, 
Kommentar S. 419 ff.; Arndt, Staatsrecht S. 197 ff.; v. Jagemann S. 231 ff.; 
Reincke, Reichsverf. S. 326 u. andere haben ihr zugestimmt.
	        
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