Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 12. Die Rechte der Einzelstaaten. 125 
des berechtigten Einzelstaates ist nicht erforderlich, weder eine vor- 
gängige vor der Beschlußfassung des Bundesrates noch eine nachträg- 
liche behufs der Ratihabition des Reichsgesetzes. Bei allen Gesetz- 
gebungsakten des Reiches wird der Wille der Bundesstaaten, welche 
bei diesen Akten mitzuwirken berufen sind, durch ihre Abstimmung 
im Bundesrat erklärt. Eine andere Form, wie der einzelne Staat bei 
Beschlüssen des Reiches seinen besonderen Willen zu erklären habe, 
kennt die Reichsverfassung nicht!). Es ergibt sich dies aus dem oben 
entwickelten Grundsatz, daß der Wille des Reiches nicht die Summe 
der Willen der Einzelstaaten ist, sondern ein einheitlicher, selb- 
ständiger Gesamtwille, an dessen Herstellung die Bundesstaaten an- 
teilsmäßig mitwirken und zwar mitwirken durch das Organ des Bun- 
desrates?). 
Ein Reichsgesetz, welches unter Beobachtung der Vorschriften des 
Art. 78, Abs. 1 und 2 zustande gekommen ist, hat demnach verbind- 
liche Kraft, auch wenn der Landtag des Einzelstaates, dessen Sonder- 
rechte beseitigt werden, gegen die Aufhebung derselben protestiert hat; 
und, da nach Art. 2 die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen, 
selbst dann, wenn durch ein Landesgesetz angeordnet ist, daß der Ver- 
zicht auf ein Sonderrecht nur nach vorgängiger Genehmigung des Land- 
tages erfolgen dürfe?). 
Zeitungen in Württemberg, wo es bis dahin nicht bestand, einführte, also die im 
württembergischen Protokoll vom 25. November 1870 unter 3 enthaltene Festsetzung 
abändertee Hänela.a. O. S. 237. Diese Praxis ist seitdem konstant beobachtet 
worden, insbesondere bei der Ausdehnung der Branntweinsteuergemeinschaft auf die 
süddeutschen Staaten. Daß mit Hamburg wegen Aufnahme in den Zollverein ein 
Staatsvertrag abgeschlossen wurde, beruht darauf, daß es sich nicht bloß 
um die Beseitigung eines Sonderrechts, sondern zugleich um sehr bedeutende finan- 
zielle und andere Leistungen sowohl Hamburgs als des Reiches handelte. 
1) Vgl. HänelS. 211 und in betreff der Verhandlungen über diese Frage im 
Reichstage und den süddeutschen Kammern S. 214 ff. Ein ausführliches Referat über 
diese wiederholten Verhandlungen gibt auch v. Rönne, Staatsrecht IIS.36 ff. Die 
Literatur bei Hänel S. 220, Note 116. Ferner die ausführliche Erörterung bei Sey- 
del, Kommentar S. 425 ff. 
2) In diesem Sinne äußert sich auch ein Bericht des Bundesratsausschusses für 
Zoll- und Steuerwesen vom 9. Februar 1875, betreffend den Anschluß der bremischen 
Gebiete Vegesack und Aumund an das Zollgebiet. (Drucksachen des Bundesrats Ses- 
sion 1874/75, Nr. 26.) „Der Senat der freien Stadt Bremen wird nach der abgegebenen 
Erklärung einem Beschlusse des Bundesrates, welcher der Ansicht des Ausschusses 
entspricht, nicht widersprechen (d. h. zustimmen). Der gemachte Zusatz: ‚das Ein- 
verständnis der Bremer Bürgerschaft vorausgesetzt‘, hat nicht die Bedeutung einer 
eigentlichen Bedingung, so daß die abgegebene Erklärung, so lange diese Bedingung 
nicht erfüllt wäre, nicht erteilt oder bei der Nichterfüllung wieder erloschen wäre. 
Es kann damit nur aufein internes Verhältnis hingedeutet sein, welches nach 
der Ansicht des Senats geordnet werden muß, und von welchem die Be- 
schlüsse des Bundesrates nicht weiter abhängig seinkönnen“ 
3) Auch in dieser Beziehung besteht kein Unterschied zwischen den in der Ver- 
fassung selbst erwähnten Sonderrechten und den neben der Verfassung bestehenden, 
in den Schlußprotokollen oder in Reichsgesetzen festgesetzten Sonderrechten.
	        
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