& 1. Die Auflösung des Deutschen Bundes. 5
»daß Preußen den bisherigen Bundesvertrag für gebrochen und
deshalb nicht mehr verbindlich ansieht, denselben vielmehr als
erloschen betrachten und behandeln wird«'). |
An diesen Vorgang knüpften sich mehrere bundesrechtliche Streitfragen;
ob der Antrag Oesterreichs materiell zulässig gewesen, ob seine ge-
schäftliche Behandlung im Einklang mit den Vorschriften des Bundes-
rechts sich gehalten, ob die Abstimmung und Beschlußfassung nament-
lich mit Rücksicht auf die Vota in der 16. Kurie ordnungsmäßig statt-
gefunden, ob der Austritt Preußens aus dem Bunde rechtlich statthaft
war?). Alle diese Fragen haben das praktische Interesse vollständig
verloren; der Fortbestand des Deutschen Bundes war nicht mehr von
der juristischen Lösung staatsrechtlicher Streitigkeiten, sondern von
dem Gange weltgeschichtlicher Ereignisse abhängig. Der Bund wurde
von den letzteren zu Grabe getragen. Aber die tatsächliche Beendigung
des Bundesverhältnisses hat auch ihre, nach allen Seiten hin voll-
kommene, formelle rechtliche Sanktion erhalten. Der Deutsche Bund
war ein völkerrechtlicher Verein, der nach Art. I der Bundesakte un-
auflöslich war. Es konnte daher allerdings kein einzelner Staat will-
kürlich aus demselben ausscheiden ; durch übereinstimmenden Willens-
entschluß aller, zu dem Bunde gehörenden Staaten war seine Auf-
lösung aber zulässig, da das Bundesverhältnis unbezweifelt den Charakter.
eines völkerrechtlichen Vertragsverhältnisses hatte?). Diese Willens-
übereinstimmung sämtlicher Bundesmitglieder, soweit sie die Kata-
strophe von 1866 überdauert haben, ist erfolgt und in rechtswirksamer
Weise erklärt worden und zwar durch nachstehende Akte:
Zuerst schied aus der Reihe der selbständigen Bundesmitglieder
der König von Dänemark als Herzog von Holstein und Lauenburg
aus; indem derselbe durch den Wiener Frieden vom 30. Oktober
1864 Art. III auf alle seine Rechte auf die Herzogtümer Schleswig,
Holstein und Lauenburg zugunsten des Königs von Preußen und des
Kaisers von Oesterreich verzichtete,
1) Hahn, Zwei Jahre S. 124fg. Glaser, Archiv I, 1, S. 27.
2) Vgl. darüber Schulze, Einleitung in das deutsche Staatsrecht S. 379 fg.
Meyer, Staatsrecht 861, Notell. Mejer, Einleitung in das deutsche Staatsrecht
(2. Aufl. 1884), 8 63, S. 255 fg. v. Sybel, Bd. IV, S. 433 ff.
3) Auf die Austrittserklärung Preußens in der Sitzung der Bundesversammlung
vom 14. Juni 1866 erwiderte das Präsidium: „Der Deutsche Bund ist nach Art. I der
Bundesakte ein unauflöslicher Verein, auf dessen ungeschmälerten Fortbestand das g e-
samte Deutschland, sowie jede einzelne Bundesregierung ein
Recht hat, und nach Art. V der Wiener Schlußakte kann der Austritt aus diesem
Vereine keinem Mitgliede desselben freistehen.“ Dies ist im wesentlichen richtig
abgesehen davon daß „das gesamte Deutschland“ kein staatliches Gemeinwesen, über-
haupt kein Rechtssubjekt war und deshalb auch kein „Recht“ haben konnte; Rechte
hatten nur die einzelnen Bundesglieder. Das Gleiche gilt von dem „unveräußer-
lichen(!) und unverjährbaren Recht des deutschen Volkes auf eine ganz
Deutschland umfassende politische Verbindung“, von welchem Zachariä in der
Vorrede der 3. Auflage (1866) seines deutschen Staats- und Bundesrechts Bd. 2 spricht.