8 16. Die Rechte der Reichsangehörigen. 155
vom 4. Juli 1872 unterschied im $ 2, ob die Jesuiten Ausländer oder
Inländer sind; im ersteren Falle konnten sie ausgewiesen, im letzteren
Falle interniert werden '). Auch auf Grund des $ 10 des Gesetzes vom
30. Dezember 1871 über die Verwaltung in Elsaß-Lothringen (des so-
genannten Diktaturparagraphen) konnte die Verweisung eines Reichs-
angehörigen aus dem Reichsgebiet nicht verfügt werden ?).
Im engsten Zusammenhange mit dem entwickelten Prinzip steht
der weitere Rechtssatz: Ein Reichsangehöriger darfinkei-
nem Falle einem ausländischen Staate ausgeliefert
werden. Auch dies ist ein wesentlicher Bestandteil des Reichsbür-
gerrechts, das Wort in seiner wahren, juristischen Bedeutung genom-
men. Der Grundsatz, welcher seinen Platz in der Reichsverfassung
verdiente, ist gesetzlich sanktioniert im
Reichsstrafgesetzbuch 8 9. Ein Deutscher darf einer
ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung nicht
überliefert werden °).
Er ist außerdem in sämtlichen völkerrechtlichen Verträgen, welche
das Reich mit auswärtigen Staaten über die Auslieferung von Verbre-
chern abgeschlossen hat, ausnahmslos anerkannt worden ®).
1) Der Regierungsentwurf wollte allerdings reichsangehörige und ausländische
Jesuiten gleichstellen; auf den Antrag des Abgeordneten Meyer (Thom) aber, welcher
hervorhob, „daß ein solcher Verlust des Indigenats den Grundsätzen des modernen
Rechts überall widerstreitet“, verbesserte der Reichstag das Gesetz in dem angegebe-
nen Sinne. Auch das Gesetz gegen die Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878 8 22,
Abs. 2 unterschied zwischen Inländern und Ausländern in derselben Art. Das Gesetz
vom 4. Mai 1874 trug dem Prinzip wenigstens formell Rechnung, indem es der Aus-
weisung eines renitenten reichsangehörigen Geistlichen dessen Expatriierung vorher-
gehen ließ.
2) Vgl. Mitscher in den Preuß. Jahrb. Bd. 33, S. 801; v. Stengel in Hirths
Annalen 1878, S. 113ff.; die anonyme Schrift „Das Recht der Wiedergewonnenen“,
Berlin 1883, S. 19 ff. Anderer Ansicht O. Meyer, Franz. Verwaltungsrecht S. 11,
und Leoni, Oeffentliches Recht von Elsaß-Lothringen S. 91.
3) Auch zu anderen Zwecken nicht. Wenn z. B. im Falle eines Krieges eine
befreundete Regierung sich erbieten würde, verwundete deutsche Krieger zur Ver-
pflegung und Heilung zu übernehmen, so dürften doch deutsche Soldaten wider
ihren Willen nicht an ausländische Lazarette abgeliefert werden.
4) Vertr. mit Nordamerika vom 16. Juni 1852 Art. 3 resp. vom 22. Februar
1868, Art. 3 (Bundesgesetzbl. 1868, S. 229, 234); mit Belgien vom 9. Februar 1870,
Art. 2 (Bundesgesetzbl. 1870, S.57); mit Italien vom 31. Oktober 1870, Art. 2 (Reichs-
gesetzbl. 1871, S. 449) und Uebereinkunft vom 8. August 1873 wegen Uebernahme von
Auszuweisenden Art. 4 (Zentralbl. S. 282); mit Großbritannien vom 14. Mai
1872, Art. 2 (Reichsgesetzbl. 1872, S. 232); mit der Schweiz vom 24. Januar 1874,
Art. II (Reichsgesetzbl. 1874, S. 115); mit Luxemburg vom 9. März 1876, Art. III
(Reichsgesetzbl. 1876, S. 226); mit Costa Rica vom 18. Mai 1875, Art. XXXIJ, Abs. 2
(Reichsgesetzbl. 1877, S. 34); mit Schweden und Norwegen vom 19. Januar
1878, Art. 2 (Reichsgesetzbl. 1878, S. 116); mit Spanien vom 2. Mai 1878, Art. 3
(ebenda S. 219); mit Brasilien vom 17. September 1877, Art. 2 (ebenda S. 297); mit
Uruguay vom 12. Februar 1880, Art. 3 (Reichsgesetzbl. 1883, S. 2933); mit Mexiko
vom 5. Dezember 1882, Art. 21, Abs. 3 (Reichsgesetzbl. 1883, S. 261) u. s. w.