8 18. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit. 171
92. Januar 1891 sollen die Behörden der Einzelstaaten über das Na-
turalisationsgesuch nicht eher Entscheidung treffen, als bis den Be-
hörden derjenigen Bundesstaaten Gelegenheit zur Aeußerung gegeben
worden ist, welche entweder als Heimatsstaat des Antragstellers oder
weil dieser auf ihrem Gebiet sich aufgehalten hat oder noch aufhält,
ein Interesse daran haben!).
Die Voraussetzungen der Naturalisation sind:
a) Dispositionsfähigkeit des Aufzunehmenden nach dem Recht seiner
bisherigen Heimat. Der Mangel der Dispositionsfähigkeit kann
ergänzt werden durch die Zustimmung des Vaters, Vormunds
oder Kurators?).
b) Unbescholtener Lebenswandel.
c) Eigene Wohnung oder ein Unterkommen an dem Orte der be-
absichtigten Niederlassung.
d) Die Fähigkeit, an diesem Orte nach den daselbst bestehenden
Verhältnissen sich und seine Angehörigen zu ernähren.
Die Beweislast für das Vorhandensein dieser vier Voraussetzungen
trägt der Aufzunehmende; bevor aber die Verwaltungsbehörde diesen
Beweis für geführt erachtet und demnach die Naturalisationsurkunde
erteilt, ist sie verpflichtet, die Gemeinde, bezw. den Armenverband des-
jenigen Orts, wo der Aufzunehmende sich niederlassen will, in Be-
ziehung auf die Erfordernisse unter b, c, d mit ihrer Erklärung zu
hören ($ 8, Abs. 2). Ein kontradiktorisches Verfahren mit förmlichem
Urteil findet aber, im Falle die Gemeinde der Naturalisation wider-
spricht, nicht statt; die Entscheidung erfolgt durch Beschluß).
Die Beibringung einer Entlassungsurkunde aus dem bisherigen
Riedel S. 274) verfügt, daß Ausländern die Naturalisation in der Regel nur dann
zu erteilen sei, wenn sie nachweisen, daß sie für den Fall der Naturalisation sofort
die Heimat in einer bayerischen Gemeinde erhalten. Vgl. Seydel, Bayer. Staats-
recht I, S. 279. Besondere Erfordernisse in Württemberg, Sachsen, Lübeck siehe bei
Cahn S. 71. Die Behauptung von Bornhakl,S. 256, daß die Einzelstaaten er-
schwerende Bedingungen zwar im Wege der Verordnung oder Instruktion, aber nicht
im Wege der Gesetzgebung aufstellen dürfen, ist völlig willkürlich.
1) Bazille u. Köstlin S. 212.
2) Ob die Zustimmung nach dem Recht des Staates, welchem der Einwanderer
bisher angehört, gültig erteilt werden darf oder nicht, ist ohne Belang; für die Na-
turalisation in Deutschland ist die Zustimmung genügend, um den Mangel der Dis-
positionsfähigkeit zu beseitigen. Uebereinstimmend Cahn S. 81. Anderer Ansicht
ist Seydela.a. O., Note 46. Geschäftsunfähige oder willensunfähige Personen
können nicht selbständig naturalisiert werden; denn die „Zustimmung“ und „Ergän-
zung“ setzt mindestens eine beschränkte Geschäftsfähigkeit voraus; der Antrag kann
daher auch nicht vom gesetzl. Vertreter allein gestellt werden. Dagegen kann die
Naturalisation des Vaters die seiner geschäftsunfähigen Kinder zur Folge haben.
Uebereinst. Bazille u. Köstlin S. 215.
3) Trotz dieses Gehörs, welches die Gemeinde bei den Verhandlungen über die
Naturalisation findet, sind aber Naturalisation und Aufnahme in einen bestimmten
Gemeindeverband oder Erwerb des Gemeindebürgerrechts von einander völlig unab-
hängig. LandgraffS. 639.