Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

172 & 18. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit. 
Untertanenverhältnis ist durch das Reichsgesetz nicht vorgeschrieben, 
den Einzelstaaten ist es aber unbenommen, ein solches Verlangen zu 
stellen. Durch Beschlüsse des Bundesrats ist die Beibringung der Ent- 
lassungsurkunde erfordert für türkische, persische und marokkanische 
Untertanen !). 
3. Sowohl die Aufnahme als die Naturalisation kann stillsch wei- 
gend, d. h. ohne Erteilung einer Urkunde verliehen werden, wenn 
jemand, der dem Staate bisher nicht angehört hat, 
»in dem unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst?) oder in 
dem Kirchen-, Schul- oder Kommunaldienst« 
angestellt wird und wenn er für diese Anstellung 
»eine von der Regierung oder von einer Zentral- oder höheren 
1) Siehe Cahn S. 67 ff. Früher war auf Grund eines Bundesbeschl. v. 1877 für 
die Angehörigen Oesterreichs und Ungarns die Entlassung aus ihrem Staatsverbande 
erforderlich; dies ist seit 1903 aufgehoben worden. 
2) Die Frage, ob als Staatsdienst auch der Offizierdienst anzusehen sei, ist strei- 
tig. Verneinend wird dieselbe beantwortet in einem Reskript des sächsischen 
Ministeriums des Innern vom 22. März 1880 (bei Reger, Entsch. I, S. 111 fg.) und 
von Müller in den Blättern für administr. Praxis in Bayern Bd. 32 (1882), S. 10. 
Diese Ansicht wird aber sowohl durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes als 
durch die Natur der Sache widerlegt. Der $ 9 cit. ist aus dem preußischen Ge- 
setz vom 31. Dezember 1842, 8 6 entnommen; in Preußen wurde aber stets der Offi- 
zierdienst als Staatsdienst angesehen. Schulze, Preuß. Staatsr. I, S. 314. Sachlich 
hat der Offizier in derselben Weise wie der Zivilbeamte die Pflicht zur Leistung von 
Diensten, zum dienstlichen Gehorsam, zur Diensttreue, er unterliegt der Disziplinar- 
gewalt, er hat Anspruch auf Gehalt, Pension usw., sein Verhältnis zum Staat ist da- 
her in allen wesentlichen Beziehungen dem der Zivilstaatsdiener gleich und in kei- 
nem Falle weniger eng als das letztere. Vgl. Seydel, Annalen 1883, S. 577 und 
Bayer. Staatsr. I, S. 282. Diese Ansicht wird bestätigt durch mehrere Militär- 
konventionen Preußens mit den kleineren Staaten, in denen der Offizierdienst 
als Staatsdienst im Sinne des $ 9 behandelt wird. Vgl. die vom preuß. Kriegs- 
minist. herausgegebenen „Militärgesetze des Deutschen Reichs mit Erläuterungen“ 
Bd. 1, Abt. IL, S. 76 und CahnS. 92ff. In demselben Sinne hat sich das würt- 
temb. Minist. d. Innern in dem Erlaß vom 7. Oktober 1884 (beiReger Bd.5, S. 86) 
erklärt. Ebenso ist in Sachsen die frühere unrichtige Entscheidung zurückgenom- 
men und der Offizierdienst als Staatsdienst anerkannt worden durch die Verordnung 
vom 14. Dezember 1888 (bei Reger Bd. 9, S. 488). Für Bayern siehe die Ent- 
scheidung vom 27. Dezember 1890 bei Reger Bd. 12, S. 62 ff. Selbst durch die Er- 
teilung des Patents eines Landwehroffiziers wird die Staatsangehörigkeit verliehen 
und zwar ohne Rücksicht, ob sich der Ernannte in dem Gebiet des Bundesstaates 
niederläßt oder nicht. Siehe die Entscheidung bei Cahn S. 87, 92. Desgl. durch 
die Ernennung zum Reserveoffizier. Urt. des Reichsgerichts (Strafsachen) vom 22. 
März 1892 bei Reger Bd. 12, S. 417; württemb. Ministerialerlaß vom 7. Januar 1893 
daselbst Bd. 13, S. 411; sächsischer Ministerialerlaß vom 8. Oktober 1896 bei Reger 
Bd. 17, S. 87. ' 
Eine dritte Ansicht hat G. Meyer, Staatsrecht 8 76 a. E. aufgestellt; darnach 
soll der Militärdienst nur in Bayern Staatsdienst, in allen anderen Kontingenten 
Reichsdienst sein; über die Unhaltbarkeit dieser Behauptung siehe unten Bd. 4, 
8 99, I. In der Praxis hat sie nirgends Anklang gefunden. Nur der Dienst in der 
Marine ist Reichs dienst.
	        
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