Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

186 8 20. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung. 
stellt in dieser Hinsicht die Reichsangehörigen nicht in der Art ein- 
ander gleich, daß »die Angehörigen des einen Bundesstaates zugleich 
als Angehörige der anderen Bundesstaaten gelten«.. Daher sind z. B. 
in Mecklenburg landesfremde, aber reichsangehörige Ritterguts- 
besitzer von der Ausübung der Landstandschaft und der obrigkeit- 
lichen, polizeilichen oder gerichtsherrlichen Rechte ausgeschlossen !), 
Die Reichsangehörigkeit hat im Art. 3 demnach nur die Bedeutung, 
daß sie eine Grenze setzt für die durch den Art. 3 bewirkte Modifika- 
tion der Partikularrechte. Die Reichsverfassung hat die Bestimmungen 
der letzteren vollständig unangetastet gelassen in Ansehung der nicht- 
reichsangehörigen Fremden; die Abänderung der Partikularrechtekommt 
nur den Angehörigen der Bundesstaaten zugute ?). 
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß die praktische Bedeutung 
des Art. 3 in materieller Beziehung die Fortdauer der Partikular- 
rechte der Einzelstaaten zur wesentlichen Voraussetzung hat 
und daß die praktische Bedeutung in demselben Umfange aufhört, als 
die Ausbildung des gemeinen Rechts fortschreitet. Denn jedes Reichs- 
gesetz hebt nach Art. 2 von selbst alle kollidierenden Landesgesetze 
auf und setzt der Autonomie der Einzelstaaten eine unantastbare 
Schranke; es bedarf daher der beiden im Art. 3 enthaltenen. Rechts- 
sätze nicht, um die in einem Reichsgesetz enthaltenen Rechts- 
regeln gleichmäßig für alle Deutsche in jedem Einzelstaate zur Geltung 
zu bringen. 
Die Gesetze über die Freizügigkeit, über den Unterstützungswohn- 
sitz, über die Gewährung der Rechtshilfe, über die Beseitigung der 
Doppelbesteuerung, die Gewerbeordnung, das Strafgesetzbuch, die Pro- 
zeßordnungen, die Konkursordnung, das Bürgerliche Gesetzbuch, das 
Handelsgesetzbuch und die anderen das Privatrecht betreffenden Reichs- 
gesetze u. s. w. haben materiell die Voraussetzungen und Beding- 
ungen der Niederlassung, des Gewerbebetriebes, des Rechtsschutzes 
und der Rechtsverfolgung für alle Deutsche und für das ganze Reichs- 
gebiet einheitlich und gleichmäßig geregelt, und es ist daher in diesen 
Materien die rechtliche Möglichkeit gar nicht mehr vorhanden, daß 
für die Angehörigen eines einzelnen Staates günstigere oder überhaupt 
andere Vorschriften als für die Angehörigen der übrigen deutschen 
Staaten bestehen. So weit ist daher der Art. 3 erledigt, für seine An- 
wendung kein Raum mehr geblieben). Seine Bedeutung hat er aber 
1) Mecklenb. Verordnung vom 28. Dezember 1872, 85. Böhlaua.a.O. 
S. 30, Note 141; S. 33, Note 155. 
2) Daß dies begrifflich etwas wesentlich anderes ist als die Konstituierung sub- 
jJektiver Rechte, bedarf wohl keiner Ausführung. Der volksmäßige Sprachgebrauch 
kann hier allerdings leicht irre führen. Wenn z.B. die für Ehefrauen bestehenden 
Beschränkungen für Handelsfrauen aufgehoben werden, so sagt man wohl, die Han- 
delsfrauen haben das Recht, selbständig Prozesse zu führen u. s. w.; in Wahrheit 
aber handelt es sich nicht um Rechte, sondern um Rechtsregeln. 
3) Man kann auch nicht sagen, daß das Reichsbürgerrecht im subjektiven Sinn,
	        
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