Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 20. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung. 187 
noch nicht verloren; denn abgesehen von sämtlichen, noch nicht ge- 
meinrechtlich (reichsgesetzlich) normierten Gebieten, z. B. der direkten 
Steuern, erweist er sich wirksam in einer materiellen und in einer 
formellen Beziehung. 
1. Materiell ist er eine Schranke für die Autonomie der 
Einzelstaaten, soweit die oben erwähnten Reichsgesetze dieselbe fort- 
bestehen lassen. Dies gilt namentlich von der Landesgesetzgebung 
über Privatrecht und Strafrecht und über Grewerbeangelegenheiten, 
welche das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche, das Ein- 
führungsgesetz zum Strafgesetzbuch $S 2, 5 und 8 und die Gewerbeord- 
nung in großem Umfange aufrecht erhalten haben. 
2. Formell ist er auch eine Schranke für die Reichsge- 
setzgebung, welche zwar die oben erwähnten und später noch zu 
erlassenden Gesetze im Wege der einfachen Gesetzgebung verändern 
oder aufheben kann, welche aber den für Verfassungsänderungen vor- 
geschriebenen Erfordernissen genügen müßte, wenn ein solches spä- 
teres Gesetz den Grundsatz der Rechtsgleichheit unter Einheimischen 
und den Angehörigen anderer Bundesstaaten etwa verletzen sollte. 
II. Das im Art. 5 der RV. sanktionierte Prinzip hat eine wichtige 
nähere Ausführung hinsichtlich der Armenpflege durch das Gesetz 
über den Unterstützungswohnsitz erhalten! Das Gesetz 
stellt den Grundsatz an die Spitze, daß jeder Deutsche?) in jedem 
Bundesstaat als Inländer zu behandeln ist in Bezug auf die Art 
und das Maß der im Falle der Hilfsbedürftigkeit zu gewährenden 
öffentlichen Unterstützung und auf den Erwerb und Verlust des Unter- 
stützungswohnsitzes. Die Stäatsangehörigkeit hat keine Bedeutung 
für den Anspruch auf Armen- und Krankenpflege. Der Unterstüt- 
wenn nicht durch Art. 3, so doch jedenfalls jetzt durch diese Gesetze, gleichsam 
die Ausführungsgesetze des Art. 3, einen materiellen Rechtsinhalt bekommen habe. 
Nach Maßgabe der Gewerbeordnung ein Gewerbe betreiben oder nach Maßgabe des 
Freizügigkeitsgesetzes einen Wohnsitz begründen zu dürfen, ist ebensowenig ein 
Recht im subjektiven Sinn, als nach Maßgabe des Zivilrechts Darlehensgläubiger, 
Mieter, Servitutberechtigter oder Eigentümer werden zu dürfen. Will man hier von 
einem Rechte reden, so ist es nur das eine, weit umfassende Recht, unter dem 
Schutze der Gesetze zu stehen, welches, wie oben S. 153 ff. ausgeführt, allerdings in 
dem Staats- resp. Reichsbürgerrecht enthalten ist, tatsächlich aber auch Ausländern 
nicht versagt wird. 
1) Das Gesetz ist zuerst ergangen für den Nordd. Bund am 6. Juni 1870 (BGBl. 
S. 860) und wurde in Baden und Württemberg eingeführt durch das Reichsges. vom 
8. November 1871 (RGBl. S. 391). Das Gesetz ist abgeändert worden durch die Ge- 
setze v. 12. März 1894 (RGBl. S. 259) u. v. 50. Mai 1908 (RGBl. S. 377) und ist 
auf Grund des letzteren in neuer Fassung bekannt gemacht worden (RGBl. S. 381). 
Durch dieses Gesetz ist es in Elsaß-Lothringen vom 1. April 1910 an eingeführt worden. 
Das Gesetz gilt daher jetzt im ganzen Reichsgebiet mit Ausnahme Bayerns. 
Kommentare des Gesetzes: Wohlers 10. Aufl. 1907: Eger 5. Aufl. Bresl. 1908: 
Krech 11. Aufl. Berl. 1908. Koppe Berl. 1909. 
2) Mit Ausschluß der bayerischen Staatsangehörigen ($ 1 Abs. 2).
	        
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