10 8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes.
sondern weit darüber hinaus kann man das Vorhandensein und das
gelegentliche Hervortreten derselben verfolgen !). Allein so interessant
diese Entwicklung vom Standpunkt der Geschichte oder der Politik
auch sein mag, eine rechtsgeschichtliche Bedeutung kommt ihr nur
insoweit zu, als sie zu Rechtsbildungen geführt hat, und ins-
besondere für die Entstehung des Deutschen Reiches ist sie staats-
rechtlich nur von Belang, insoweit sie diejenigen Vorgänge betrifft,
welche mit der Gründung des Reiches und der Feststellung seiner
Verfassung in nachweisbarem Zusammenhange stehen. Von diesem
Standpunkte aus läßt sich die Entstehungsgeschichte des Deutschen
Reiches nicht weiter zurück verfolgen als bis zur Katastrophe des
Jahres 1866 und den derselben unmittelbar vorhergehenden Ereig-
nissen?). Schon im Jahre 1863 erklärte Fürst Bismarck bei Erörterung
des österreichischen Reformprojekts in einer Denkschrift des
Staatsministeriums vom 15. September 13863?) für die
wichtigste und wesentlichste Reform der Bundesverfassung die Ein-
fügung einer Nationalvertretung, welche berufen sei, »die
Sonderinteressen der einzelnen Staaten im Interesse der Gesamtheit
Deutschlands zur Einheit zu vermitteln«, und er verlangte im Gegen-
1) Es gibt darüber eine reiche Literatur, aus welcher hervorzuheben sind:
v. Kaltenborn, Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbe-
strebungen. 2 Bde. Berl. 1857. K. Klüpfel, Die deutschen Einheitsbestrebungen
in ihrem geschichtl. Zusammenhange, Leipz. 1853; derselbe, Geschichte der deut-
schen Einheitsbestrebungen bis zu ihrer Erfüllung. Berl. 1872. 73. J. Jastrow,
Geschichte des deutschen Einheitstraums und seine Erfüllung. Berl. 1885. v.Sybel,
Begründung des Deutschen Reichs. Bd. Iu. II. Mejer, Einleitung S. 131 ff.
2) Gierke in Schmollers Jahrbuch Bd. 7, S. 1115 fg. erblickt in der Ausschei-
dung dieses geschichtlichen Stoffes einen wesentlichen Mangel. Insoweit er die Be-
deutung der Rechtsgeschichte für die volle und tiefe Erkenntnis der Institutionen
des heutigen Rechts hervorhebt, ist ihm vollkommen beizustimmen, und es ist nur
dagegen Verwahrung einzulegen, daß jede dogmatische Behandlung des posi-
tiven Rechts immer verbunden werden müsse mit einer Wiedergabe des rechts-
geschichtlichen Stoffes. Es kann doch nicht als ein wissenschaftliches Er-
fordernis angesehen werden, jede juristische Erörterung mit den Volksrechten oder
der Germania des Tacitus oder gar mit dem Zwölftafelgesetz zu beginnen, um dem
Vorwurf des „geschichtslosen Anfangs“ zu entgehen. Nicht zu billigen erscheint mir
aber die unbegrenzte Ausdehnung, welche Gierke dem Begriff der Rechtsge-
schichte gibt. Wenn er 2.2.0. fragt: „Soll die Geschichte des deutschen Einheits-
gedankens vor der Denkschrift vom 15. September 1863 als bedeutungslos bei Seite
geworfen werden dürfen, wenn es sich um die Ergründung der Natur des Reichs und
seines Verhältnisses zu den Einzelstaaten handelt?“, so ist dies einfach und entschie-
den mit Ja zu beantworten. Die Geschichte des „deutschen Einheitsgedankens“ ist
politische Geschichte, aber nicht Rechtsgeschichte, und für die juristische
Natur des Reichs und des Verhältnisses desselben zu den Gliedstaaten ist aus ihr gar
nichts zu entnehmen; dagegen ist sie sehr geeignet, um den Mangel einer sicheren
dogmatischen Grundlegung zu verdecken und den Leser auf andere Gedanken zu
führen, um ihn über diesen Mangel hinwegsehen zu lassen. — Vgl. auch Tezner
in Grünhuts Zeitschrift Bd. 21, S. 273 ff.
3) Staatsarchiv VIII, S. 206 fg.; auszugsweise auch bei Hahn S.60, Anm.