202 $ 22. Gebietsveränderungen.
steht gegen eine Personalunion zwischen einem deutschen und einem
außerdeutschen Staat ein rechtliches Hindernis nicht).
II. Der Umfang der Staatsgebiete innerhalb des Reiches ist
weder durch die Reichsverfassung bestimmt noch unterliegen Abände-
rungen der Verfügung und Genehmigung des Reiches. Gerade hier
zeigt sich die Gebietshoheit der Einzelstaaten sehr deutlich und sie
äußert ihre Wirkungen in negativer und positiver Richtung.
1. Die negative Richtung, der Ausschluß einer anderen Verfügungs-
gewalt über das Staatsgebiet, äußert sich dem Reiche gegenüber in dem
Satze: Das Reich ist nicht befugt, die Grenzen der ein-
zelnen deutschen Staaten ohneihre Zustimmung zu
verändern; es darf nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen oder aus
anderen Motiven die Gebiete der einzelnen Staaten abrunden oder zu-
sammenlegen oder gar der Größe nach ausgleichen. Die Integrität der
Mitglieder des Reiches steht nicht zur Verfügung der Reichsgewalt; die
Mitglieder haben vielmehr ein verfassungsmäßiges Recht, daß das Reich
ihre Integrität schütze. In diesem Sinne verstanden ist die S. 195,
Anm. erwähnte Aeußerung des Reichskanzlers, daß die Landeshoheit
bei den einzelnen Staaten geblieben ist, richtig. Die Gebiete der Staa-
ten sind eben nicht Provinzen, Verwaltungsdistrikte des Reiches. Es
bewährt sich hier die Behauptung, daß auch noch andere Maßregeln
des Reiches als die im Art. 78, Abs. 2 erwähnten Verfassungsänderungen
der besonderen Zustimmung einzelner Staaten bedürfen ?).
2. In positiver Richtung kommt die Gebietshoheit der Einzelstaaten
zur Geltung, indem es den Einzelstaaten freisteht, die
Binnengrenzen ihrer Gebiete zu verändern, durch
Abtretung oder Austausch, ohne daßsie dazu der Zu-
stimmung des Reiches bedürfen. Eine Gebietsabtretung
kind S. 17. In der ersten Auflage dieses Werkes ist unter Berufung auf die Stel-
lung Hessens im Norddeutschen Bunde die entgegengesetzte Ansicht vertreten wor-
den. Allein abgesehen davon, daß diese Teilung Hessens eine auf besonderen politi-
schen Verhältnissen beruhende Anomalie war, entsprach dieselbe auch nicht der Natur
der Dinge. Wäre die Mainlinie längere Zeit die Grenze geblieben, so hätte sich ent-
weder der Zusammenhang zwischen Nord- und Südhessen zu einer Personalunion ab-
geschwächt oder — was wahrscheinlicher ist — Südhessen hätte tatsächlich an der
gesamten politischen Entwicklung des Norddeutschen Bundes teilgenommen und nur
äußerlich wäre die Form der partikulären Gesetzgebung, der scheinbar souveränen
Verwaltung, des Staatsvertrages mit dem Norddeutschen Bunde beobachtet worden,
ohne daß Südhessen einen wirklich selbständigen Staatswillen gehabt hätte. Vgl.
Meyer 8 164, Note 32, woselbst die Literatur zusammengestellt ist, und oben S. 134,
Note 1. Anschütz S. 526.
1) Die von v. Mohl S. 22fg. hiergegen geltend gemachten Bedenken sind rein
politischer Natur und genügen nicht zur Aufstellung eines Rechtssatzes; sollte ein
solcher Fall aber vorkommen, so würden gewiß politische Erwägungen den Aus-
schlag geben. Die Rechtsfrage hat in hervorragendem Maße den Charakter der
„Doktorfrage*.
2) Siehe oben S. 122 ff.