208 8 23. Der Schutz des Gebietes.
für notwendig erachtet werden, anzulegen, und zwar auch gegen den
Widerspruch der Bundesglieder, deren Gebiete die Eisenbahnen durch-
schneiden. Reichsverf. Art. 41. Dem Reich steht behufs Durchfüh-
rung einer solchen Eisenbahnanlage das Expropriationsrecht zu und,
falls die Anlage einem Privatunternehmer konzessioniert wird, kann
das Reich denselben mit dem Expropriationsrechte ausstatten. Wenn
das Reich von dieser Befugnis Gebrauch macht, wird die infolgedessen
angelegte Eisenbahn aber keineswegs völlig von der Gebietshoheit des
Staates eximiert und gleichsam reichsunmittelbar; sondern es besteht
auch ihr gegenüber die Landeshoheit des Einzelstaates in demjenigen
Umfange fort, in welchem die Reichsverfassung sie überhaupt hat be-
stehen lassen. Dies hat der Art. 41 der Reichsverfassung hervorgehoben
durch die Klausel: »unbeschadet der Landeshoheitsrechte«. Gerade
hier zeigt sich wieder, daß einerseits die Souveränität des Reiches
keine die Hoheitsrechte der Einzelstaaten vernichtende, erschöpfende
ist und daß andererseits die Hoheitsrechte der Einzelstaaten keine
souveräne, d. h. unbeschränkte sind; denn eine Gebietshoheit ohne
Widerspruchsrecht gegen Eingriffe einer anderen Gewalt in das Gebiet
ist keine souveräne.
II. Im Verhältnis der einzelnen Bundesstaaten zuein-
ander ist die Gebietshoheit derselben am Staatsterritorium zwar
keineswegs beseitigt, aber durch die Unterordnung unter die souveräne
Reichsgewalt sehr erheblich an Kraft geschwächt und gelockert. Es
gilt dies namentlich von der negativen Richtung der Territorialgewalt,
d. h. von der Abschließung des Staatsgebiets gegen außen. Durch die
Zollgesetzgebung ist das ganze Bundesgebiet dem Warenverkehr frei-
gegeben und Reste der Gebietshoheit der einzelnen Staaten bestehen
in dieser Beziehung nur, soweit die süddeutschen Staaten von der
Biersteuergemeinschaft eximiert sind. Durch das Freizügigkeits- und
Staatsangehörigkeitsgesetz ist für den Personenverkehr das ganze Bun-
desgebiet zur Einheit geworden. Durch den 7. und 8. Abschnitt der
Reichsverfassung ist in Beziehung auf das Eisenbahn-, Post- und Tele-
graphenwesen eine Abschließung der einzelnen Staatsgebiete gegen die
übrigen deutschen Gebiete unmöglich gemacht worden. Dasselbe ist
durch den Art. 54 der Reichsverfassung geschehen hinsichtlich der
Seehäfen und aller natürlichen und künstlichen Wasserstraßen. Dem-
gemäß ist die Absperrung ihres Gebietes den Einzelstaaten über-
haupt nicht mehr gestattet; gegen das Reichsausland nicht, weil das
Reich hierzu ausschließlich befugt ist, gegen das übrige Bundesgebiet
nicht, weil dies mit der bundesstaatlichen Einigung unverträglich ist.
Durch die Reichsprozeßordnungen ist für das Gebiet der ordentlichen
streitigen Gerichtsbarkeit den einzelnen Staaten eine Gerichtsbarkeit
beigelegt worden, welche ihre Wirkungen über das ganze Bundesgebiet
erstreckt.
In ihrer positiven Richtung dagegen besteht die Gebietshoheit der