Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

214 8 24. Die staatsrechtliche Natur des Kaisertums. 
Erst die jetzt geltende Redaktion der Reichsverfassung hat sowohl 
bei den Bestimmungen über die Marine als bei denjenigen über das 
Reichskriegswesen die Bezeichnung »Kaiser« durchgeführt und damit 
die frühere Dreiteilung, oder, falls man den König von Preußen mit 
dem Bundesfeldherrn für ganz identisch halten will, die frühere Zwei- 
teilung der dem Bundesoberhaupte zustehenden Befugnisse formell 
beseitigt. Auch in der Redaktion des Strafgesetzbuches für das Deut- 
sche Reich ist an die Stelle des Bundesoberhauptes der Kaiser ge- 
treten. 
Die jetzige Reichsverfassung hat in den Art. 5, Abs. 2; 7, Abs. 2 und 
3; 8, Abs. 2, und 37 den Ausdruck »Präsidium« beibehalten; sonst 
durchweg den Ausdruck »Kaiser« an die Stelle gesetzt. Daß beide 
Ausdrücke sachlich ganz dasselbe bedeuten, ergibt sich aus der oben 
erwähnten Fassung des Art. 11, Abs. 1. Noch bestimmter und klarer 
ist dies ausgesprochen in dem Schreiben des Königs von Bayern an 
den König von Preußen, durch welches die Anregung zur Wiederher- 
stellung des Kaisertitels gegeben wurde. In demselben heißt est): 
»Ich habe Mich daher an die deutschen Fürsten mit dem 
Vorschlage gewendet, gemeinschaftlich mit Mir bei Eurer Ma- 
jestät in Anregung zu bringen, daß die Ausübung der 
Präsidialrechte des Bundes mit Führung des Titels 
eines Deutschen Kaisers verbunden werde«e?). 
Nach der ausdrücklichen Angabe der Motive, mit denen die neue 
Redaktion dem Reichstage vorgelegt wurde‘), sind »materielle Aende- 
rungen des bestehenden Verfassungsrechtes nicht beabsichtigt worden« 
und bei den Beratungen des Reichstages ist die gleiche Intention vom 
Abgeordneten Lasker und dem Fürsten Bismarck sehr bestimmt be- 
tont worden*). Die Bestimmung des Art. 17, daß die Anordnungen 
und Verfügungen des Kaisers im Namen des Reiches erlassen werden 
und zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers be- 
dürfen, erstreckt sich ihrem Wortlaute nach allerdings auch auf die- 
jenigen Anordnungen des Kaisers, welche sich auf die Marine beziehen 
oder welche nach der früheren Verfassung nicht dem Bundespräsidium, 
sondern dem Bundesfeldherrn zustanden, aber dadurch sollte nicht 
das Erfordernis der Gegenzeichnung für Armee- und Marinebefehle, 
für welche es zuvor nicht bestanden hatte, eingeführt werden. Siehe 
Bd. 4, $ 97. Im übrigen sind alle Anordnungen, welche in der nord- 
1) Stenogr. Berichte des Nordd. Reichstages 1870, II. außerord. Sess. S. 76. 
2) Uebereinstimmend damit ist die Erklärung des Staatsministers Delbrück 
vom 8. Dezember 1870 bei Einbringung des Gesetzentwurfs über die Aufnahme der 
Bezeichnung Kaiser und Reich. Die Bezeichnung „Kaiser“ sollte darnach zunächst 
nur aufgenommen werden: „an der Stelle der Bundesverfassung, welche die Präsi- 
dialstellung der Krone Preußen bezeichnet“. Stenogr. Bericht II, außerordent- 
liche Session 1870, S. 167. Abweichend Hänel, Studien II, S. 29, Note 1. 
3) I. Session 1871. Drucksachen Nr. 4. 
4) Stenogr. Berichte S. %.
	        
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